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Pitbulls in der Todeszelle

Fürs Tierheim Süderstraße ist die neue Hundeverordnung „ein Akt der Willkür“  ■ Von Peter Ahrens

Sie heißen Gino, Rollo, Smiley und Atlas – und sie haben das Pech, ein Pitbull zu sein. Vor zwei Wochen hätten sie vielleicht noch die Chance gehabt, ihre geschätzten fünf Quadratmeter Zwinger im Tierheim an der Süderstraße gegen ein besseres Zuhause einzutauschen. Die Hoffnung können sie jetzt vergessen. Seitdem in Wilhelmsburg ein Pitbull den sechs-jährigen Volkan totgebissen hat, seit die Medien den Kampfhund zum Staatsfeind Nummer eins ernannt haben, seit der Senat eilig eine drastisch verschärfte Hundeverordnung auf den Weg gebracht hat, stehen Gino, Rollo, Smiley und Atlas auf der Abschussliste. Seitdem muss Tierheimleiter Wolfgang Poggendorf ein Interview nach dem anderen geben, seitdem sind Maulkörbe knapp in dieser Stadt. „Das ist Hysterie, was sich hier abspielt“, sagt Poggendorf.

Von Hysterie ist im Tierheim gestern vormittag allerdings nicht viel zu spüren, höchstens von gesteigerter Aktivität. Scheinbar Juli-Alltagsgeschäft, es ist kurz vorm Urlaub, die Zeit, in der die Leute ihre Tiere aussetzen, um in Ruhe zwei Wochen auf den Balearen zu bräunen. Die Tieraufnahme ist voll, das Drei- bis Vierfache von dem, was sonst allmorgendlich an Hunden, Katzen und Wellensittichen angeschwemmt wird – ein Drittel der aufgefundenen Hunde gehören zu denen, die der Senat in der Vorwoche als „unwiderleglich oder widerleglich gefährlich“ abgestempelt hat. Einige HundebesitzerInnen sind so verunsichert, dass sie die Tiere einfach aussetzen: Das Tierheim wirds schon irgendwie richten.

Das Tierheim kann es nicht mehr richten. „Und das alles ausgerechnet zur Hauptreisezeit, wir werden durch diese Verordnung komplett in die Enge getrieben“, klagt Poggendorf, der die Verordnung „einen Akt der Willkür“ nennt und davon spricht, dass man sich im Tierheim inzwischen fühle „wie auf Blauhelm-Mission in einer Krisenregion“. Die 40 Tierpfleger müssten ihre Arbeitsleistungen um 20 bis 40 Prozent steigern, sagt der Heimleiter, um einigermaßen das Pensum zu schaffen. Man hat Katzenzwinger im Tierheim geräumt, um Platz für die Kampfhunde zu schaffen; auf den Kennkärtchen, die an den Einzelzwingern angebracht sind, heißt es fast nur noch: Pitbull, Staffordshire, Pitbull, Pitbull, Stafford-shire. Einige sind schon zwei oder drei Jahre an der Süderstraße, ein Vermitteln dieser Hunde ist jetzt sowieso zwecklos geworden. Egal, ob bei den Eigenschaften, die man auf den Kärtchen ankreuzen kann, steht: Verspielt, leinenführig, maulkorbgewöhnt, folgsam. Die Eigenschaft „Bissig“ ist bei keinem der Hunde angekreuzt, höchstens lebhaft, wachsam, misstrauisch oder nicht erzogen.

Ragna Sönnichsen hat keinen Pittbull, sondern einen West Highland, was ungefähr so ein Unterschied ist wie ein 34-Tonner-Diesel zu einem Fiat Panda. Trotzdem ist sie seit dem Kampfhund-Angriff von Wilhelmsburg dauernd angesprochen worden, warum sie ihrem Hund keinen Maulkorb verpasse. „Das ist alles total übertrieben worden“, findet sie. Im Tierheim ist sie auf der Suche nach einem zweiten Hund für sich, größer soll er sein und sich mit dem West Highland und ihren drei Katzen vertragen. Wenn er die Bedingungen erfüllt, hätte sie auch einen Pittbull genommen. Björn Heinrich, der sie beim Suchen begleitet, ereifert sich: „Wer jetzt seinen Pitbull beim Tierheim abgibt, ist für mich kein Hundeliebhaber.“ Er würde für seinen Hund kämpfen: „Da lasse ich mich von so einer Verordnung doch nicht unterkriegen.“ Das sei alles eine Kampagne der Bild-Zeitung, schiebt er noch nach.

Sachliche Berichterstattung hat auch Poggendorf vermisst. Er habe zwar volles Verständnis dafür, wenn der Kinderschutzbund nun höhere Zäune an Grundschulen und Kindergärten fordere – „von Tieren darf keine Gefahr für Menschen ausgehen, das sehe ich auch so“ – , aber man müsse ja auch mal anmerken dürfen, dass „der Kampfhund von Wilhelmsburg sein Platzrevier gegen Eindringlinge verteidigen wollte“. Außerdem sei es einfach unerträglich, dass jetzt jeder, der einen Hund habe, in Sippenhaft genommen werde: „Auch die Hundehalter sind Bürger dieser Stadt.“

Mehr als die Hunde hat Poggendorf die Politiker auf dem Kieker. „Die wollen das Thema Kampfhunde doch nur so schnell bereinigen, damit es im Wahlkampf keine Rolle spielt.“ In Wilhelmsburg habe die Verwaltung geschlafen: „Hätten wir den Fall gekannt, wir hätten uns den Hund schon rechtzeitig geholt“ – bevor es zu dem tödlichen Vorfall kam. Schließlich werde das Tierheim sonst bei jeder anderen Kleinigkeit von den Behörden um Amtshilfe gebeten.

Er werde jedenfalls nicht an der Tötung von nicht verhaltensgestörten Tieren mitwirken, macht Poggendorf klar, das werde er auf keinen Fall hinnehmen. Die, die tatsächlich eine Gefahr sind, weil sie „vom Menschen missbraucht worden“ seien, die müssten eingeschläfert werden, das sieht er ein, aber trotzdem werde er auch diese im Heim aufnehmen: „Ich wäre ein schlechter Tierschützer, wenn ich mich nicht auch um den Hund kümmern würde, der psychisch kaputt gemacht worden ist.“ Für Poggen-dorf ist es Richtschnur: Der Mensch ist schuld, nicht der Hund. Zum Schluss fügt er noch an, dass ihm die Versicherungen erzählt haben, die meisten Versicherungsfälle, bei denen Hundebisse eine Rolle spielen, rührten von Dackeln her.

Im Tierheim hängt direkt neben dem mit Pitbulls besetzten Hundehaus ein Plakat. Unter der Überschrift: Unschuldig hinter Gittern schaut einen ein Vierbeiner durch Zwingerstäbe ins Gesicht. Darunter steht: „Ausgesetzt oder abgegeben wie ein alter Sack Kleider. Geben Sie ihm und seinen Freunden eine Chance, eine neue Hoffnung und ein neues Heim.“ Ganz unten steht: „Dies ist eine Aktion der Bild-Zeitung“.

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