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Die Eleganz des Zeppelins

DIE NEUEN UTOPIEN (4): Neues Wissen macht es möglich – die Wirtschaft könnte nachhaltig werden. Dies ist auch eine Frage von Gastfreundschaft, Wohlleben, Langsamkeit und Lichtgeschwindigkeit

Überhaupt werden Produzenten zu Providern und Verbraucher zu Gebrauchern

von WOLFGANG SACHS

Wie eine Schneeflocke, so leicht ist das Emblem der Expo 2000. Eine dahingehauchte Computergrafik, die nichts darstellt, sondern nur etwas assoziiert: einen Fingerabdruck, eine kristalline Struktur, eine sich selbst organisierende Zelle. Kein Ding, sondern ein dynamisches Muster. Welch ein Kontrast zur Weltausstellung 1889 mit ihrem Eiffelturm! Leichtigkeit hat Tonnenschwere und Miniaturisierung den Gigantismus abgelöst.

Was immer die Expo wert ist, sie hat jedenfalls ein Emblem gefunden, das den Gegensatz zwischen einer postindustriellen und der industriellen Welt hervorhebt: Intelligenz statt Masse, Information statt Material, Rechnerleistung statt Motorenleistung, Automatisierung statt Arbeitskraft, Bytes statt Watt, Marketing statt Output, Erleben statt Haben, Netzwerk statt Hierarchie. In der Tat, seit geraumer Zeit häutet sich das Wirtschaftssystem; über seinen materialaufwendigen und Ressourcen verschlingenden Kern legt sich eine wachsende Schicht an Steuerungsintelligenz, Software und Symbolproduktion. Wirtschaftlicher Erfolg drückt sich nicht mehr in schierer Masse aus, vielmehr in überlegener Marktintelligenz. Fängt damit, wie manch ein Berichterstatter wähnt, die große Fahrt in die immaterielle Wirtschaft an?

Wer sich solchen Mutmaßungen hingibt, verkennt die entscheidende Weichenstellung, die uns von einer nachhaltigen Informationsgesellschaft trennt: ob wir die Wissenswirtschaft dazu einsetzen, die materielle Wirtschaft auszudehnen und zu beschleunigen, oder ob wir sie zurückbauen und bis zur vollständigen Naturverträglichkeit schrumpfen lassen. Die digitale Ökonomie gibt uns einen Trumpf in die Hand; in der Vorstellung von einer zukunftsfähigen Informationsgesellschaft steckt die Utopie, ihn so auszuspielen, dass aus einer reichen Volkswirtschaft eine leichte Ökonomie wird, die nicht mehr auf der Natur und auf anderen Völkern lastet.

Dematerialisierung. Das 21. Jahrhundert wird dem technisch-wirtschaftlichen Fortschritt eine andere Richtung geben. Exzellenz wird durch die Fähigkeit definiert werden, die Wertschöpfung vom Gebrauch natürlicher Ressourcen unabhängiger zu machen. Eine Wissensgesellschaft könnte es darauf anlegen, den Wirtschaftsprozessen ihre Materialität auszutreiben. Wer etwa Dienstleistungen verkauft, um Öl oder Wasser einzusparen, „zero emission“-Kreislaufsysteme innerhalb und zwischen Betrieben einführt oder Alltagsprodukte wie Hemden und Farben, Sofabezüge und Kreditkarten aus biologisch abbaubaren Naturstoffen herstellt, der nutzt Intelligenz, um die Wirtschaft zu dematerialisieren. Denselben Effekt hat es, wenn Hersteller anfangen, Autos, Kühlschränke, Fernseher, Teppichböden langfristig zur Nutzung zu vermieten, statt sie als Eigentum zu verkaufen. Rank Xerox zum Beispiel vertreibt die Dienstleistung „Kopieren-Können“, vermietet dafür seine Kopiergeräte und ist deshalb an deren Wartung, Erhaltung und Wiederverwertung interessiert. Überhaupt werden in einer nachhaltigen Wirtschaft die Produzenten zu Providern und die Verbraucher zu Gebrauchern. Geld fließt nicht, um der Welt eine möglichst große Menge Hardware hinzuzufügen und schnell umzuschlagen, sondern um sich eine Dienstleistung zu verschaffen und dafür temporär rationell verwaltete Geräte zu nutzen. Der Service unterstützt nicht das Produkt, sondern das Produkt unterstützt das Serviceverhältnis.

Die Utopie des21. Jahrhunderts: Bytes statt Watt, Intelligenz statt Masse, Erleben statt Haben

Langsamkeit und Lichtgeschwindigkeit. Von einer leichten Ökonomie kann allerdings keine Rede sein, wenn die industriellen Ideale des „schneller“ und „weiter“ ins Jahrhundert der Informatik mitgeschleppt werden. Denn dann folgen den Informationen ungebremst auch Menschen und Waren. Dann wird, da kann man einigermaßen sicher sein, die Vielzahl an elektronischen Kontakten in Echtzeit, deren Netz sich vom nächsten Stockwerk bis über das Rund des Globus spannt, früher oder später zu einer Explosion des physischen Verkehrs führen. Beim Onlineverkehr wird der Expansionseffekt den Einspareffekt weit übertreffen; neue Verkehrslawinen stehen ins Haus, wenn sich im physischen Verkehr von Gütern und Personen nicht eine Ästhetik durchsetzt, die mittlere Entfernungen und langsamere Geschwindigkeiten als gelungen empfindet. Klaustrophobie ist schließlich nicht mehr angesagt, wenn die Welt im Cyberspace offen steht. So kann man es sich zum Beispiel auch leisten, alle Automotoren einem Downsizing auf Fahrleistungen von etwa 100 km/h zu unterziehen. Vielleicht findet ja im Design behutsam motorisierter Fahrzeuge die Utopie des 21. Jahrhunderts ihren technischen Ausdruck, in der Lage zu sein, mit Eleganz innerhalb von Grenzen zu leben. Im Zeppelin liegt eben mehr Zukunft als im Transrapid.

Gut leben statt viel haben. Niemand wird weniger konsumieren, um ein besserer, wohl aber, um ein unabhängigerer Mensch zu werden. Weil in den Wohlstandsgesellschaften die Zahl der Möglichkeiten – Güter, Dienste, Ereignisse – explodiert ist, doch der Tag in seiner konservativen Art weiterhin nur 24 Stunden hat, regiert allenthalben die Zeitknappheit. Das schafft ein Dilemma: Es fehlt die Muße, die einzelnen Dinge hinreichend zu nutzen, zu erleben, in Tätigkeit umzusetzen und auszukosten. Den Dingen Qualität abzugewinnen kostet Zeit; deshalb gibt es eine Grenze der Güterausstattung, jenseits deren die Lebensqualität nicht mehr mitwächst. Viel-Haben kann dem Gut-Leben in die Quere kommen. Niemand kann auch im Internet mit seinen explodierenden Optionen überleben, wenn er nicht die Kunst der Auswahl, des Neinsagens beherrscht. Eine wahrhaft postindustrielle Lebensführung wird sich – das Verhältnis von Information zu Materie verbessernd – darauf verstehen, aus wenigen ausgewählten Dingen viel Qualität zu ziehen.

Eine Frage der Gastfreundschaft. Vielleicht könnte ja eine ressourcenleichte Informationsgesellschaft eine Antwort auf die Großfrage dieses Jahrhunderts darstellen: Wie können wir die Erde für doppelt so viele Menschen wie heute gastfreundlich machen, ohne die Naturbasis für die späteren Generationen zu ruinieren? Die reichen Volkswirtschaften haben schließlich ihr Gerechtigkeitskonto weit überzogen: 20 Prozent der Weltbevölkerung verfrühstücken bekanntlich 80 Prozent der Weltressourcen. Bei der Suche nach einer leichten Ökonomie geht es auch darum: einen gerechtigkeitsfähigen Wohlstand zu erfinden. Ohne dass die OECD-Länder das Gewicht, mit dem sie auf dem Planeten und auf anderen Völkern lasten, im Laufe der nächsten 50 Jahre um etwa 80 Prozent reduzieren, wird es keine Weltbürgergesellschaft geben. Denn in einer begrenzten Welt verlangt Gerechtigkeit, wie Johannes Rau einmal gesagt hat, nicht in erster Linie, zu lernen, mehr zu geben – sondern weniger zu nehmen.

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