: Ein Glaubenskrieg um Aids
In Südafrika, Gastgeber der Welt-Aids-Konferenz, legt sich der Präsident mit Ärzten und Aidsprojekten an. Schlüssiges Konzept zur Aidsbekämpfung fehlt
aus JohannesburgKORDULA DOERFLER
Der Mann starb jung und angeblich unerwartet. Mit nur 40 Jahren erlag Themba Khoza einer Reihe von „Leiden“, darunter einer „schweren Erkältung“. Der Südafrikaner ist einer von Hunderttausenden afrikanischer Männer, die im besten Alter „plötzlich“ sterben.
Im Unterschied zu vielen Namenlosen war er jedoch ein bekannter Politiker, ein gefürchteter Warlord der Inkatha-Freiheitspartei (IFP). Nach seinem Tod aber wusste niemand Schlechtes über ihn zu sagen, und über die Todesursache wurde hartnäckig geschwiegen.
„Politiker sind auch Bürger und haben die gleichen Rechte wie jeder Bürger“, verteidigt Gesundheitsministerin Manto Tshabalala-Msimang diese Haltung. Bis heute ist das Thema Aids ein gesellschaftliches Tabu.
Die „Aids-Dissidenten“
Das soll sich am Wochenende ändern, wenn die 13. Welt-Aids-Konferenz – erstmals überhaupt in Afrika – in der Hafenstadt Durban eröffnet wird. „Das Schweigen brechen“ lautet das Motto. Eines zumindest ist den Gastgebern dabei gewiss: eine ausgesprochen heftige Kontroverse um ihre Aidspolitik.
Schon vor einer Woche haben 5.000 Wissenschaftler aus der ganzen Welt eine „Durban Declaration“ unterzeichnet, die implizit Präsident Thabo Mbeki angreift und ausdrücklich konstatiert, dass Aids durch den HI-Virus ausgelöst wird. „Ein Stück für den Papierkorb“, gab Mbekis Sprecher Parks Mankahlana gereizt zurück.
Mbeki hat die Kontroverse bewusst verschärft: Mandelas Nachfolger zeigt sich sehr interessiert an den Thesen der so genannten Aids-Dissidenten, einer Forschergruppe in den USA, deren Behauptungen ebenso provokant wie umstritten sind: Aids in Afrika, so ihr radikalster Vertreter, der kalifornische Virologe Peter Duesberg, werde nicht durch den HI-Virus ausgelöst, sondern durch Armut, Unterernährung und schlechte sanitäre Verhältnisse. Bei Mbeki, der von einer afrikanischen Renaissance träumt, stößt das auf offene Ohren.
Die Debatte wird hochgradig ideologisiert geführt. Mbeki selbst führt einen weltweiten Glaubenskrieg gegen die geltenden medizinischen Lehrmeinungen. In einem Brief an US-Präsident Bill Clinton und mehrere europäische Staatschefs kritisierte er, die Aidsforschung sei von den USA und Europa dominiert und werde den afrikanischen Verhältnissen nicht gerecht. Anders als im Westen nämlich werde Aids in Afrika heterosexuell übertragen. „Mit dieser einzigartigen afrikanischen Katastrophe müssen wir uns befassen“, so Mbeki. Zugleich wirft er den westlichen Pharmakonzernen vor, nur am Profit interessiert zu sein, und er hält nur wenig von den so genannten Aidscocktails, die sich in Afrika ohnehin kaum jemand leisten kann.
Südafrikas starke Aids-Lobby, aber auch viele Ärzte und Wissenschaftler liefen spätestens dann Sturm, als Mbeki einige der Dissidenten in eine Expertenkommission einlud. Ergebnis: Nach zweimonatigen Beratungen widersprachen sich die Teilnehmer darüber, was denn nun beschlossen worden sei.
Die Regierung muss sich zu Recht vorwerfen lassen, weitere kostbare Zeit vertan zu haben. Schon seit Jahren fordern Aidsprojekte eine schlüssige Konzeption zur Aidsbekämpfung – in einem Land, das nach neuesten UN-Zahlen mit 4,2 Millionen weltweit die höchste Zahl von Infizierten hat. Die Hälfte aller heute 15-jährigen Jungen wird an dem Virus sterben, so schätzt die UN, jeden Tag werden 1.600 Menschen neu infiziert.
Trotz der seit Jahren bekannten Prognosen war die Aidspolitik der südafrikanischen Regierung allenfalls halbherzig. „Die Aidspandemie und das Verhalten der Regierung werden zu einer Katastrophe führen, die wir uns kaum vorstellen können“, warnt der Historiker und Bevölkerungsexperte Robert Shell. „Die Aidspolitik hinkt zehn Jahre hinter dem Erkenntnisstand hinterher.“
Suche nach „Wahrheit“
Solchen Vorwürfen widerspricht die Regierung scharf. „Wir behandeln Aids als nationale Katastrophe“, sagt beleidigt die Gesundheitsministerin, die dem Kurs des Präsidenten folgen muss. „Niemand kann uns vorwerfen, nichts getan zu haben.“ Im Übrigen suche man nach nicht weniger als der „Wahrheit“.
Alle staatlichen Aufklärungskampagnen greifen jedoch kaum: Kondome gelten wie in vielen afrikanischen Staaten als „unmännlich“, und viele Schwarze sind nach wie vor der Ansicht, dass Aids eine Dekadenz westlicher Homosexueller sei. Mit der Verbreitung der Krankheit glaubt man selbst nichts zu tun zu haben.
„In unserer Gesellschaft spricht man nicht über Sex“, räumt auch Expräsident Nelson Mandela ein. „Das ist ein riesiges Problem.“
Weiter im Net:http://www.aids2000.comhttp://www.unaids.org
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