: Seilschaften gegen Männerdominanz
Seit einem halben Jahr fördern die Grünen Nachwuchspolitikerinnen – eine Zwischenbilanz
BERLIN taz ■ In den USA gibt’s das schon lange, in Deutschland probieren die Wirtschaft und einige Unis damit herum, jetzt ist auch eine Partei auf den Trichter gekommen: Die Grünen betreiben Mentoring für Frauen. Die Idee ist einfach: Warum immer über Männerseilschaften lamentieren, wenn man selber auch welche knüpfen kann? Und warum immer nur Quoten fordern, ohne den Nachwuchs dafür zu qualifizieren?
Für ein gutes halbes Jahr haben sich 19 junge weibliche Grüne aus der ganzen Republik mit je einer erfahrenen Politikerin zusammengetan: Die Grünen-Vorsitzende Renate Künast, die Europa-Abgeordnete Heide Rühle oder die Umwelt-Staatssekretärin Gila Altmann haben sich von den Jungen begleiten lassen, sie beraten, Projekte und Karrieren geplant.
Am vergangenen Samstag zogen die „Tandems“ in Berlin Bilanz. „Wir hatten zu wenig Zeit“, lautete die Klage unisono. „Ein halbes Jahr kann bei so einem Projekt nur ein Anstoss sein“, meinte die Mentorin Sabine Gehrmann, Kreisrätin aus dem Landkreis Reutlingen. Den ihre Mentee allerdings gut zu nutzen wusste: Sie ist inzwischen die Nachfolgerin von Gehrmann im Kreistag und ließ sich von ihr die Tücken der Kommunalpolitik erklären. Konkurrenz habe es zwischen den beiden glücklicherweise nicht gegeben, weil die Ältere sich aus der aktiven Politik zurückziehen will. „Sonst hätte ich sicher auch kritischer auf die Inhalte geguckt, die meine Mentee durchsetzen will,“ gibt Gehrmann zu Bedenken.
Im Idealfall hat eine Mentorin so viel Distanz, dass sie als Karriereberaterin fungieren kann: In welchen Ausschuss will ich, wie bereite ich Sitzungen vor, wie gehe ich mit dem Übergewicht an Männern um? „Der Stil dort ist für Neue erst mal ein Kulturschock“, meint die Mentorin und riet: „Lass dich nicht in den Ausschuss für Soziales abdrängen.“
Im nahezu frauenfreien Raum arbeitet auch die energiepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Michaele Hustedt. Ihrer Mentee riet sie, die Rolle des bunten Vogels zu nutzen und sich nicht zu verstecken. Auch hier gab es ein konkretes Projekt: Ludmilla Schlecht schreibt ihre Diplomarbeit in Energietechnik über die Biomasseverordnung, die gerade vorbereitet wird. Frische Informationen aus dem Büro Hustedt sind der Mentee auch in Zukunft sicher: Dieses Tandem rollt weiter.
„Auf Augenhöhe“ sollte der Kontakt zwischen Mentee und Mentorin laufen – ein frommer Wunsch angesichts des offensichtlichen Profits, den die Jüngeren aus dem Projekt ziehen? Nicht ganz: „Ludmilla war so begeistert von dem, was ich mache: Da habe ich gemerkt, dass ich doch eigentlich einen tollen Beruf habe und dass ich wirklich etwas bewege“, stellt Hustedt fest.
Und Antje Radcke, deren bayerische Mentee die heiße Phase um den Atomausstieg und Radckes Entschluss, nicht mehr für den Vorstand zu kandidieren, miterlebte, meint: „Ich war froh, dass jemand mir den Blick aus einem Landesverband vermitteln konnte, ohne irgendein parteiinternes Interesse zu haben.“ Allein der Termindruck habe gelegentlich die Zweierfreuden getrübt, fanden viele Mentees.
Nach ihren ersten Erfahrungen mit der Presse wünschten sich die Jungen vor allem ein Medientraining und Rhetorikschulungen. „Wir wollen ja, dass sie anspruchsvoll sind,“ seufzt Bundesfrauenreferentin Marion Böker, die das Projekt organisiert hat, am Ende der Tagung, „aber Rhetorikkurse für 3.000 Mark pro Person sind bei unserem Budget nicht drin.“
Ob das Mentoring selbst weiterhin „drin“ ist bei den notorisch klammen Grünen, muss nach der Auswertung der neue Bundesvorstand entscheiden. Die Aussichten sind nicht schlecht. Denn im Vorstand sitzen mit Renate Künast und Niombo Lomba immerhin schon zwei aus der neuen Seilschaft.
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