hörhilfe
: Dadaistische Dialoge mit Gronius und Rauschenbach

Immer langsam mit der Wünschelrute

Jörg W. Gronius und Bernd Rauschenbach gehören zu den wenigen Originalgenies unserer Zeit, Originalgenies durchaus im Sinne des Sturm und Drangs. Sie sind die großen Kerls des Wortes, die gottgleichen Schöpfer einer Literaturwelt, die mit unserer bis auf die Sprache nur noch wenig zu tun hat – und selbst die wird noch oft genug gedengelt, gebogen und getunt. Immer eingedenk des Harry-Rowohlt’schen Diktums, wonach man sich dereinst für jeden ausgelassenenen Kalauer vorm lieben Gott zu verantworten habe, pfeffern sie einem ihre mal hintersinnigen, mal absurden, oft auch bloß albernen, aber doch meistenteils wirklich witzigen Sprachspiele um die Ohren, noch dazu in einer Frequenz, dass man sich bisweilen schon mal die beiden gedruckten Vorlagen „Stücke 1“ (edition echoraum, Wien 1993) und „Stücke 2“ (Weidle Verlag, Bonn 1997) herbeiwünscht, um das alles en detail nachzuschmecken.

Andererseits ist es noch die Frage, was denn der suggestivste Aggregatzustand dieser fulminanten Dada-Dialoge sei. Erst von diesen beiden Vortragskünstlern gelesen, entwickeln sie einen Teil ihrer komischen Durchschlagskraft. Aber was sage ich – gelesen? Gebrüllt, gesungen, sanft gezwitschert wird hier; die beiden imitieren Stimmen, fallen sich gegenseitig ins Wort, werfen sich die Bälle zu, spielen im besten Sinne Theater. Und das mit viel Verve und Gespür für die Pointe und nicht zuletzt mit traumwandlerischer Timing-Sicherheit. Der Vortrag sitzt dem Text wie angegossen.

Das muss auch so sein bei Poesien, die sich zwar in dieser irdischen Gerümpelkammer bedienen, aber daraus etwas bosseln, das wunderbar strange zu illuminieren beginnt. Hier und dort erkennt man schon noch satirische Rudimente, ist der Text nicht gänzlich in den Zustand der Elevation übergegangen, etwa wenn in „Erbswurst, Eisbein, Politur“ Heinz-Erhardt’sche Dampf-Kalauerei noch weiter getrieben und damit ihrerseits karikiert, schließlich ihres braunen Substrats überführt wird: „Der Onkel Tobias vom ZachRIAS, der hat seit heute sein eignes Lokal. Er steht draußen in Onkel Toms Hütte, wo die Neger ihre Plattenbauten mit Fliegengittern verbarrikadieren aus Angst vor den letzten Mücken des Nationalsozialismus. Aber, aber, meine Herren Neger, immer langsam mit der Wünschelrute! Ich habe einen weißen Westen.“

Aber auch dieser Text sperrt sich im Grunde einer interpretatorischen Vereinnahmung. Was sollen da die „Plattenbauten“? Hm. Häufig genug sind sich die „Stücke“ denn auch selbst genug, gehen sie vollends auf in manieristischer Artistik – und letzteres möchte ich hier keinesfalls als Kritik verstanden wissen. Was Gronius und Rauschenbach mit der Sprache machen, welche Register sie ziehen, und vor allem in welchen sie augenscheinlich stupende Kenntnisse besitzen, das nötigt einem allemal Respekt ab. Da gibt es Anspielungen auf 20er-Jahre-Chansons und 50er-Jahre-Schlager, Rock-’n’-Roll-Slang, da werden unterschiedlichste Dialekte kolportiert und immer wieder hart kontrastiert mit der verschroben-anachronistischen Diktion des 18. und 19. Jahrhunderts, wo nicht der Bibel selbst; da geriert man sich expressionistisch, lässt auch die eine oder andere Wortschöpfung und Metapher Arno Schmidts fallen, und manchmal geht es da auch zu wie in einer Groteske Eugen Egners. Habe ich noch etwas vergessen?

„Unser Licht ist das des ersten Schöpfungstages“, beschwört Gronius die kreative Hybris der beiden, nachdem er sich zuvor vehement über das „beschissene Licht“ auf der Bühne beklagt hat. Lasst leuchten!

FRANK SCHÄFER

Jörg W. Gronius & Bernd Rauschenbach: „Tonstörungen aus Philadelphia oder Heidelinde, ich weiß. Kurze Stücke mit Gebrüll“. (BMG/Wort)