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Wunderbar nostalgisch

■ Mit vier großen StimmkünstlerInnen präsentieren sich die „Continental Drifters“ im Moments als die einzig wahren Bewahrer des Folkismus

Diedrich Diederichsen meint ja, dass es eine allgemeingültige Logik gibt, nachdem sich die Jugend seit 30 Jahren ihren Pfad durch die einzelnen Musikstilrichtungen bahnt – entsprechend dem Hegelschen Weltgeist eine Art Weltpopgeschmack. Doch wahrscheinlich hat jede Szene, jeder Ort seine eigene Geschmacksgeschichte.

In meiner kleinen hometown war nach Auslotung des experimentellen Lärmterrains (von Sonic Youth bis Husker Du) auf einmal ab Mitte der 80er die neue Einfachheit des Neofolk das große Aha-Erlebnis. Man hörte Giant Sand, Nikki Sudden, Robert Forster und die Go-Betweens, später Schramms oder 16 Horsepowers, härter Gesonnene Jeffrey Lee Pierce und den Gun Club.

Dabei fühlte man den einsamen Wanderarbeiter in den Baumwollfeldern mitten im eigenen Herzen schlagen, mit all seiner schlichten Traurigkeit, die nichts weiß von Adorno und dem ganzen intellektuellen Zerrissenheitsquatsch der Unidozenten um einem herum.

Und bei den weniger pathetischen, freundlicheren seit 1991 exisitierenden „Continental Drifters“ spürte man, fast wie bei Dolly Parton, das Potenzial zum einfachen, bodenständigen, ehrgeizfreien Leben – das man natürlich nie wirklich besaß. Noch heute strahlt die Combo etwas von der Ruhe, Gelassenheit und unverschwurbelten Herzenswärme aus wie man sie dem alten Rancherehepaar mit der Heugabel auf dem berühmten Gemälde „American Gothic“ von Grant Wood zuschreibt.

Ihr Auftritt innerhalb der „Sparkasse in Concert“-Reihe im Moments war für die Pressefotografen eine Herausforderung, ist es doch gar nicht so leicht eine Band ins Visier zu nehmen, die sich den Luxus von drei Singer/Songwritern gönnt und fünf MusikerInnen gleichberechtigt in eine Reihe stellt: wohl ein Bekenntnis zu einem Leben jenseits persönlicher Eitelkeiten und Zeitgeistigkeiten, so wie die lieben blonden Korkenzieherlocken von Ex-Bangle Vicki Peterson und das Batikhemd von Peter Holsapple.

Obwohl es sich bei den Drifters um eine klassische All-Star-Band handelt, deren MitgliederInnen auf Reverenzen bei den dB's, R.E.M. und Dream Syndicate verweisen können, finden die Amis Unterschlupf „nur“ beim deutschen Winzlabel Blue Rose Records.

Heute kann man auch ihren einstigen Kultcharakter (zum Beispiel unter SPEX-Lesern) nur noch bedingt nachvollziehen – ganz im Gegensatz zu Yo La Tengo, was vielleicht eher an den wunderhübschen, doch von allen Brüchen verschonten Stimmen liegt als an den simplen Songstrukturen. Das „Neo-“ zum -country und -folk ist auf ganz wundersame Weise entfleucht.

Auch dem als Vorband fungierende lonsome man mit Gitarre John Crooke fehlt bei aller Vollständigkeit, mit der seine Stimme alle erdenklichen leise und laut schluchzenden Leidensgebiete abdeckendt, vielleicht ein Stück Eigenwilligkeit eines Jeff Buckleys. Trotzdem ein wunderbar nostalgischer Abend. bk

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