: Jedem sein Lexikon
Was die Popkultur von der Populärkultur unterscheidet: Der Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf wirft in großem Stil und kleinen Auflagen einen Haufen Bücher aus der Szene für die Szene auf den Markt
von ANDREAS HARTMANN
Oft stellt man ja erst beim Stöbern in der Buchhandlung oder im Internet fest, für welche Bücher und Themen man sich interessiert. Wollte man nicht schon immer etwas mehr über prominente Selbstmörder wissen? Wie wurde Techno eigentlich zu dem, was es heute ist? Wie kamen Ton Steine Scherben zu ihrem Mythos? Für Oliver Schwarzkopf, Chef von Schwarzkopf & Schwarzkopf und des sich auf Lexika spezialisierten Tochterverlags Imprint, steht fest: „So schwachsinnig kann kein Thema sein, das es keine Sau interessiert.“
Schwarzkopf muss es wissen. Sein Verlag, einer der wenigen noch wirklich unabhängig strukturierten Kleinverlage in Berlin, wirft in großem Stil einen Haufen eigentümlicher Bücher auf den eigentlich als übersättigt geltenden Buchmarkt. Getreu dem Motto: „Jedem sein Lexikon“. So gibt es inzwischen „Das große Karl-May-Lexikon“, ein „Fantasy Lexikon“, eines über Monster, Geister und Dämonen, eines über Aliens, über Blondinen, über Rockgitarristen, Kultfilme und Bücher, über Reggae, HipHop, Punk und Gothic. Ein Ende ist längst nicht abzusehen. Freunde und Fans von Woody Allen genauso wie von deutschen Soaps werden demnächst in ihrer Lust auf Nachschlagewerke bedient, und im Mutterverlag erschien gerade ein Band mit sämtlichen Spiegel-Titelbildern von 1947 – 1999, ein Buch über Hans Rosenthal und eines über „Pochoir – Die Kunst des Schablonengraffiti“.
Überhaupt Graffiti. „Spray City“, ein Buch über die Berliner Graffiti-Art, war vor fünf Jahren der Startschuss für den Verlag, den Oliver Schwarzkopf als „längst nicht mehr reinen Ostverlag“ bezeichnet, der aber immer noch seinen Schwerpunkt „DDR und Neue Länder“ hat. Zuletzt für Aufsehen sorgte da das Buch „Wir wollen immer artig sein ...“ über die Independent-Rock und Punk-Szene in der DDR der Achtziger.
Oliver Schwarzkopf, ein korpulenter Mann, der unabhängiges Verlegen „geil“ findet und Klaus Wagenbach sein großes Vorbild nennt, sieht man an, wie erstaunt er selbst darüber ist, dass sein Laden so gut brummt. In seiner Begeisterung darüber kann er nur schwer im Reden unterbrochen werden. „Als kleiner Verlag haben wir in unseren Nischen alle Chancen der Welt. Mit einer Ausnahme: Wir können keine Bestseller machen.“
Aber darum geht es auch gar nicht. Um einen Bestseller lancieren zu können, braucht es die etablierten Strukturen der Großverlage, das funktionierende Netz aus gesicherten Kontakten zum Buchhandel und Rezensionen in den einschlägigen Medien. Doch genau dafür, sagt Oliver Schwarzkopf, „bin ich den Großverlagen drei Mal am Tag dankbar. Deren Strukturen verlangen es, mindestens 8.000 Stück Auflage pro Buchtitel zu haben. Während wir auf kleine Startauflagen setzen, die permanent überarbeitet werden. Mit einer verkauften 3.000er-Auflage machen wir zwar nicht richtig viel Geld, aber auf jeden Fall ein Plus.“
Die Rechnung mit vielen Titeln in kleinen Auflagen für eine Nischen-Leserschaft geht bisher bestens auf. Im letzten Jahr lag der Umsatz von Schwarzkopf & Schwarzkopf und Tochter bei 2,77 Millionen Mark, womit Oliver Schwarzkopf hoch zufrieden ist. Und allein im laufenden Jahr sollen 60 neue Titel erscheinen, was wieder eine Menge Umsatz verspricht. Aber, so der 33-jährige Schwarzkopf, „wir wollen ja auch nicht irgendwann wie Rowohlt oder Fischer McKinsey im Haus haben.“
Schwarzkopf bezeichnet sich selbst als Verleger von populärer Kultur. Nicht etwa von Popkultur. „Popkultur ist ein Teil von populärer Kultur. Populärkultur ist da viel umfassender, hat Geschichte. Außerdem ist Popkultur ein viel zu abgenutzter Begriff.“ Einen wissenschaftlichen Ansatz, wie man ihn im angloamerikanischen Raum bei populärkulturell ausgerichteten Verlagen wie Routledge oder auch dem Berliner ID-Verlag findet, gibt es bei Schwarzkopf & Schwarzkopf nicht. Hier werden keine Szenen oder Subkulturen mit akademischen Reflexionen konfrontiert, sondern Bücher gebastelt aus der Szene für die Szene, die den Bedarf an Informationen zu allerlei „Kultigem“ von Soaps bis hin zu Raumpatrouille Orion decken. Das ultimative Buch zu „Big Brother“ ist hier wahrscheinlich nur nicht erschienen, weil RTL II das lieber selbst erledigt hat. Direkt in die Szenen sickern die Bücher jedoch nur zu etwa zwei Dritteln. „Das andere Drittel spricht das Umfeld an. Sozialarbeiter, Lehrer, Eltern, Angehörige. Die wissen wollen, wo der Sohn denn am Wochenende immer so hin geht und wer eigentlich dieses Blümchen ist.“
Dazu kommt, sagt Oliver Schwarzkopf, der erste verlegerische Erfahrungen mit der Leipziger Stadtzeitung Leo sammelte, „dass es ja auch Wünsche der jeweiligen Szenen gibt, sich dokumentiert zu wissen. Und die sind längst bereit, den Umweg über den Kapitalismus zu gehen, schließlich sind sie ja Teil davon. Mosern tun meist nur die, die in den jeweiligen Büchern, über eine bestimmte regionale Graffiti-Szene etwa, nicht vorkommen.“ Natürlich erscheint das Rekrutieren von Zielgruppen bei vielen Titeln ziemlich konstruiert. In dem gerade erschienenen Buch von Sebastian Krekow und Jens Steiner etwa „Bei uns geht einiges“, eine Art Oral-History der deutschen HipHop-Szene, dürfen DJ Hinz und MC Kunz in teilweise grausig holprigem Duktus aus dem Rap-Leben gegriffene Anekdötchen erzählen und andere HipHopper ein wenig dissen. Besonders spannend liest sich das nicht, aber Szene-intern wird so ein Sich-gegenseitig-ans-Bein-Pinkeln sicherlich für einigen Sprengstoff sorgen. Allein schon deshalb wird das Buch wahrscheinlich kein Flop. Doch genau darin, dass Schwarzkopf & Schwarzkopf auch extrem jungen AutorInnen und HerausgeberInnen mit wenig publizistischen Erfahrungen ein Forum bietet, ganz abseits vom Marktsegment „Neue deutsche Popliteratur“, macht auch den gewissen Charme des Verlags aus.
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