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Der Besserlächler

Wie man ein modernes Verständnis vom Koran haben kann: Irans Präsident Chatami demonstrierte bei seinem Weimar-Besuch, dass er den philosophischen Diskurs über die Welt an sich gut beherrscht

„Der Glaube an eine wortwörtliche Offenbarung macht einiges schwierig“

von THOMAS DREGER

Er kam, sah und siegte. Nur, dass er dafür nicht mehr kämpfen musste. Als Irans Präsident Mohammad Chatami am Mittwoch in Weimar einflog, war das Terrain für ihn so vorbereitet, dass nichts mehr schief gehen konnte. Gegendemonstranten wurden vom Ort des Ereignisses fern gehalten, und die wesentlichen Wirtschaftsverträge hatte man bereits am Vortag abgeschlossen.

„Sieht aus wie in ‚Apocalypse Now‘“, bedachte ein iranischer Kollege den Anblick des Hubschraubergeschwaders, mit dem sich Irans Staatsoberhaupt und Hoffnungsträger der Reformer während seines Besuches in Deutschland fortbewegte. „Endlich was los hier“, meinte ein Skin angesichts der Proteste der aus ganz Europa angereisten Gegendemonstranten in der malerischen Innenstadt. „Die sollen doch zu Hause protestieren“, erklärte dagegen eine Zeitschriftenhändlerin am Bahnhof, „schließlich haben wir zu DDR-Zeiten das Gleiche hier gemacht und sind nicht abgehauen.“

Mit etlicher Verspätung erschienen schließlich Chatami und Bundespräsident Johannes Rau zur Einweihung des gemeinsamen Denkmals für Goethe und den persischen Nationaldichter Hafis. Zwei eher hässliche Granitmonolithe in Stuhlform – jeder für einen der Literaten – sollten gewürdigt werden. Erst spielten zwei blasse Schüler ein Duett für Klarinette und Fagott von Ludwig van Beethoven, dann begab sich Chatami an das Rednerpult. Der Wind begann zu fegen und Regen setzte ein. Doch zum Glück waren die zwischen den beiden Gedenkstühlen für Hafis und Goethe ausgestreuten Rosen festgeklebt. Und dann rezitierte der Mullah mit dem permanent freundlichen Lächeln Sätze, die in seiner Heimat bis vor kurzem als Ungeheuerlichkeit galten: „Schütte den Wein in den Kelch“, zitierte er den vor 700 Jahren verstorbenen Hafis und dann war noch von „Liebenden“ zu hören. Mit versteinertem Blick nahm selbst ein in seiner Delegation angereister Offizier dies zur Kenntnis. Iranischen Journalisten stand jedoch das Erstaunen ins Gesicht geschrieben.

Fortgesetzt wurde die Veranstaltung im Schloss der Stadt. Johannes Rau hatte zum „Dialog der Kulturen“ geladen. Eingeleitet wurde er jedoch von einem Monolog: 20 Minuten referierte Chatami unter schweren Lüstern über die Möglichkeiten, kulturelle Differenzen zu überwinden, ohne sie zu negieren.

Dann begann das „Gespräch“. Nach einigen warmen Worten Raus stellten der längst emeritierte Tübinger Orientalist Josef van Ess und der Theologe Hans Küng Fragen an den Gast. Küng blieb es überlassen, endlich über das Wesentliche zu reden: Die Menschenrechte, auch wenn das Wort nie ausgesprochen wurde. „Die Moderne ist ausgerechnet im Christentum entstanden“, begann er, diese habe zur „Freiheit des Individuums“ geführt, „der Islam hat dieser Reformation nicht gemacht.“ Konsequent ignorierte der protestantische Theologe allerdings, dass auch in der islamischen Welt seit Jahrhunderten Reformer aktiv sind.

In der westlichen Welt gäbe es eine zunehmende „Entfremdung zwischen Spiritualität und Materialismus“, konterte Chatami und verwies auf das geistige Vakuum in der Postmoderne. Zwischen Statuen von zwei sich herzenden nackten Knaben und zwei sich ebenso behandelnden Mädchen an den Seiten des Saals demonstrierte der schiitische Kleriker dann, was er am besten kann: den philosophischen Diskurs über die Welt an sich. Ob es überhaupt eine Wahrheit gebe, fragte er und bezog sich auf Hegel. „Man kann ein modernes Verständnis des Koran haben“, lächelte er. Auch könne man das heilige Buch der Muslime angesichts der aktuellen Verhältnissen neu interpretieren und sich dabei sogar irren. Jedoch gelte weiterhin die Unumstößlichkeit der einst von Muhammad in Schrift umgesetzten Worte aus dem Mund Gottes. Chatamis Fazit: „Der Glaube an eine wortwörtliche Offenbarung macht natürlich einiges schwierig.“

Doch Küng ließ nicht locker. Wie es denn um die Juden in der Islamischen Republik bestellt sei, schließlich seien da jüngst einige in Schiras unter dubiosen Umständen wegen angeblicher Spionage zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Und wie sei es denn um die Bahai bestellt, wollte er wissen

„Der hoch geachtete Professor redet wie ein Außenminister“, antwortete Chatami, es wäre jedoch schade, wenn Küng diesen Job übernehmen würde. Schließlich schätze er ihn als „Lehrer“. „Ich bin gerne bereit, über solche Dinge in einem Fernsehinterview Auskunft zu geben, aber hier sollen wir reden über den Dialog der Kulturen.“ Nur hat es ein solches Interview noch nie gegeben. „Wie Sie selbst wissen, wird der Glaube der Bahai nicht als Religion anerkannt“, beantwortete Chatami schließlich pflichtgemäß die Frage nach dem Stand der religiösen Minderheit. Anders als Juden und Christen gelten die Anhänger dieser erst nach dem Islam entstandenen Religion in Iran nicht als schützenswert. Allein wegen ihres Glaubens werden sie verfolgt und müssen gar mit der Exekution rechnen. Dennoch übersprang Chatami auch bei diesem Thema die Regeln der Islamischen Republik. Trotz ihres Glaubens seien Bahai „Bürger Irans“ und der Präsident des Landes sei verpflichtet, sich für die Einhaltung ihrer Rechte einzusetzen. Welcher Art diese Rechte sind, ließ Chatami allerdings offen. Ein konkrete Äußerung dazu hätte Chatami wahrscheinlich in Iran sein Amt gekostet.

Währenddessen ratterten schon die Rotoren des wartenden Hubschraubers, der Irans Präsidenten zu seinem in Erfurt wartenden Flugzeug nach Teheran bringen sollte – einem nagelneuen Airbus, den Iran nach Mohammad Chatamis Staatsbesuch in Frankreich vor einem Jahr zum Vorzugspreis erstanden haben soll.

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