Tod einer polnischen Legende

Jan Karski, Kurier der polnischen Untergrundbewegung im Zweiten Weltkrieg und Polens berühmtester Widerstandskämpfer, ist gestorben

WARSCHAU taz ■ Jan Karski, Kurier der polnischen Untergrundbewegung im Zweiten Weltkrieg, ist tot. Vor zwei Jahren hatte ihn Jad Vaschem, die Gedenkstätte Israels für die Shoah, für den Friedensnobelpreis nominiert. Mit Karski hat Polen seinen berühmtesten Widerstandskämpfer verloren.

1942 hatte sich der damals 23-Jährige von jüdischen Untergrundkämpfern ins Warschauer Ghetto und ins KZ Izbica Lubelska einschleusen lassen, um in England und Amerika berichten zu können. Mit dem Mut eines Verzweifelten schaffte es der von der Gestapo meistgesuchte Untergrundkurier Polens, das Kriegsgebiet zu durchqueren und mit Dokumenten und Fotos bis zum britischen Außenminister Anthony Eden vorzudringen. Zweimal ließ sich Eden vom Elend im Warschauer Ghetto und von den Deportationen der Juden ins Vernichtungslager Belzec berichten. Doch als Karski die Forderungen des jüdischen Widerstandes nach politischen und militärischen Maßnahmen gegen den Völkermord an den Juden vorbrachte, sagte Eden nur: „Wir wissen Bescheid über die Gräueltaten der Nazis. Die Sache wird entsprechend behandelt.“

Als weder das britische Parlament noch die Regierung bereit waren, die Forderung nach Bombardierung der Zufahrtswege zu den KZs zu erfüllen oder die nach dem Abwurf von Flugblättern über dem Deutschen Reich, reiste Karski nach Amerika. Im Juli 1943 traf er sich mit US- Präsident Franklin D. Roosevelt, zeigte ihm die von polnischen Untergrundkämpfern geraubten Nazi-Dokumente und forderte, dass die Alliierten „die Verhinderung der Massenvernichtung der Juden offiziell zu ihrem Kriegsziel erklären“ sollten.

Doch auch Roosevelt versprach nur die spätere „Bestrafung der Schuldigen“. Was Karski zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass Roosevelt und Eden bereits im März 1943 die zukünftige Nachkriegsordnung für Polen beschlossen hatten. Doch im Lauf der Gespräche begriff Karski, dass die Souveränität Polens für die westlichen Alliierten nur Verhandlungsmasse war, um Stalin als sicheren Verbündeten zu gewinnen. Die Verhinderung des Völkermords an den europäischen Juden war, wie Karski vor drei Jahren in einem Interview sagte, „nur ein Nebenaspekt, der einfach nicht in die militärische Strategie passte“.

Immerhin sorgte die polnische Exilregierung in London dafür, dass der von ihr veröffentlichte „Karski-Bericht“ von zahlreichen Zeitungen weltweit zitiert wurde. Doch die beschriebenen Gräuel wurden mit Skepsis aufgenommen. Selbst Felix Frankfurter, Richter am Obersten Gerichtshof in Washington, sagte Karski: „Ich kann einfach nicht glauben, was Sie da sagen.“

Verbittert über die Vergeblichkeit seines Bemühens beschloss Karski 1945, nie wieder über das, was er gesehen hatte, zu sprechen. Er blieb in den USA und lehrte als Osteuropa-Experte an der Georgetown-Universität in Washington. Erst 1985, mit dem Film „Shoah“ von Claude Lanzmann, erfuhr die Welt, dass Karski der legendäre polnische Untergrundkurier war. Am Donnerstag starb er 86-Jährig in Washington. GABRIELE LESSER