: Der Stimmenkauf ist zulässig
Die Bundesländer dürfen ihr Verhalten im Bundesrat von spezifischen Vorteilen für ihr eigenes Land abhängig machen. Umgekehrt ist aber auch die parteipolitische Blockade nicht verboten
BERLIN taz ■ „Einen so schamlosen Missbrauch des Bundesrates hat es in Jahrzehnten nicht gegeben“, schimpfte Thüringens Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU). Und sein Stuttgarter CDU-Kollege Erwin Teufel sprach von einem „undemokratischen Stimmenkauf“. Gemeint ist die Bundesratsabstimmung über die Steuerreform, bei der einige Länder in letzter Minute umgeschwenkt sind, nachdem ihnen der Bund spezifische Zugeständnisse machte.
Problematisch ist dabei nicht, dass Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) in der Nacht vor der Abstimmung nochmals ein zwei Milliarden Mark schweres Paket für den Mittelstand nachgelegt hat. Damit ging er gezielt auf den Vorwurf von Union und FDP ein, der rot-grüne Reformplan begünstige einseitig die großen Unternehmen. Derartige Nachbesserungen, die zögerlichen Landesregierungen die Zustimmung erleichtern sollen, gehören zum Geschäft der politischen Kompromissbildung. Ihr Ergebnis kommt auch Unternehmen in den Bundesländern zugute, die gestern beim Nein verblieben.
Der Gedanke an politische Korruption kann dagegen aufkommen, wenn einzelne Länder für sich spezifische Vorteile aushandeln. Das Land „verkauft“ damit seine Stimme zu einem bestimmten Preis und erhält eine Gegenleistung, auf die ein ablehnendes Land verzichten muss. So soll in Brandenburg die Verkehrsinfrastruktur an der polnischen Grenze gestärkt werden, und Bremen wurde zugesagt, dass es auch nach der Reform des Länderfinanzausgleichs „handlungsfähig“ bleiben werde. Mecklenburg-Vorpommern erhält Hilfe beim Bau eines Gaskraftwerks, Berlin für die Sanierung des Olympiastadions.
Im Unterschied zur echten Korruption erhält den Vorteil hier aber das Land, zum Beispiel Bremen, und nicht etwa dessen Regierungschef Henning Scherf persönlich. Auch sind, soweit ersichtlich, weder Gelder an Parteien geflossen, noch wurden politische Karrieresprünge versprochen. Die Deals blieben also ganz im politischen Raum.
Dass die Gegenleistungen des Bundes mit der Steuerreform nichts zu tun haben, so ein Vorwurf des CSU-Chefs Edmund Stoiber, macht den Vorgang ebenfalls nicht zum Skandal. Breit angelegte Pakete, selbst über Ressortgrenzen hinweg, sind auch im Bundestag keineswegs ungewöhnlich.
Das gleiche gilt für die Bedenken Teufels, der Finanzminister habe hier „an den zuständigen Gremien vorbei“ Finanzgeschenke verteilt. Die Zustimmung des Bundestags wird Eichel schließlich eines Tages doch benötigen, auch wenn die rot-grüne Parlamentsmehrheit dann kaum noch nein sagen kann. Aber auch das ist nichts Neues und gilt für außenpolitische Absprachen oder Ergebnisse des „Bündnis für Arbeit“ genauso. Der Bundestag ist häufig nicht der Hauptakteur der Politik, sondern nur noch „Resonanzboden des Zumutbaren“.
Bleibt der Vorwurf, die jetzt „gekauften“ CDU-Landespolitiker hätten sich nicht an unionsinterne Vereinbarungen gehalten. Deutlich wird dabei das Dilemma, in dem die Länderkammer permanent steht, wenn sich die politischen Mehrheiten im Bundestag und Bundesrat unterscheiden. Halten die Absprachen der Bundesratsmehrheit, dann wird ihr „Blockadepolitik“ und „parteipolitische Instrumentalisierung der Länderkammer“ vorgeworfen. Brechen einzelne Länder aus der Front aus, weil sie konkrete Vorteile für ihr Land erhoffen, kommt schnell der Vorwurf des Stimmenkaufs auf. Auch wenn beide Vorgänge allgemein als unschön empfunden werden, staatsrechtlich unzulässig sind sie nicht – schon aus pragmatischen Gründen, denn die Abgrenzungs- und Beweisschwierigkeiten wären enorm.
Das eigentliche verfassungspolitische Problem liegt eher in der starken Stellung des Bundesrats als solchem. Wenn dieser bei rund 60 Prozent der Bundesgesetze ein Vetorecht besitzt, erhöht dies nicht gerade die Aktionsfähigkeit der Politik. CHRISTIAN RATH
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