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Straßenbahnfahren bildet

■ Bewegte Begegnungen mit historischen Relikten auf der Schiene / Wochentags „Kommunistenhuren“ in der Linie 6, sonntags die historische Straßenbahn von 1904

„Kommunistenhure!“ schimpfte das Männlein in der Straßenbahn, Richtung Universität, nachdem er von der Mitreisenden mit der Koseform für Nationalsozialisten bedacht worden war. Diesem Gipfeltreffen diffamierender Ausdrücke war ein Streit über das Schlaraffenland Deutschland vorausgegangen.

Das museumsreife Ehepaar, welches die Zeit zwischen 1950 und 2000 unbeschadet im Originalzustand überstanden hat, wunderte sich über das solide Schuhwerk einiger Nicht-Weißer an der Haltestelle. „Haben die so was in Afrika überhaupt?“ „Na, das kriegen die doch alles vom Sozialamt hier. Die sperren ja nur den Schnabel auf, wie im Schlaraffenland“, klärte die Frau ihren Gatten auf.

Straßenbahnfahren bildet. Hier treffen wir mit Menschen zusammen, mit denen es sonst im Alltag keinerlei Berührungspunkte gibt – hier findet ein Generationen übergreifender Kulturaustausch statt. Wo sonst können wir erfahren, dass das vielseitig verwendbare Komposita „Kommunistenhure“ auch nach Ende des Kalten Krieges noch nicht aus dem Sprachgebrauch verschwunden ist?

Nun ist leider nicht jede Straßenbahnfahrt gekrönt von diesen bereichernden Erlebnissen. Häufig ist Straßenbahnfahren im Gegenteil langweilig und monoton, weil die eingefahrenen Gleise nicht verlassen werden: Not every day is like Sunday. Sonntags fahren nämlich alle zwei Wochen die Bremer Museums-Straßenbahnen durch die Stadt – abwechselnd auf die leichte (20 Minuten) und die harte Tour (90 Minuten). Organisiert und begleitet von Mitgliedern des Vereins „Freunde der Bremer Straßenbahn“ sind die Trips in den historischen Triebwagen für Touris der schönste, trockenste und gewichtserhaltendste Weg, die Highlights der Stadt am Fluss kennen zu lernen. André Bunger vom Verein brüllt wie anno dunnemals gegen den Lärm an („Diesen Sound gibt es nur noch bei diesem Fahrzeug. Ist zwar schade, aber der Fahrgast will nicht belästigt werden.“), da die Bahn, Baujahr 1904, keine Sprechanlage hat.

Bunger kommentiert die Sehenswürdigkeiten mit dezenten Verweisen auf bremische Empfindlichkeiten. „Links der Neubau des Arbeitsamtes, weil es leider zu viel Arbeit hat...“ Im Viertel wird die Sielwallkreuzung als Geheimtipp für Amüsierwillige erwähnt: “Hier geht Silvester richtig die Party ab.“ Und für eventuelle Radaubrüder und -schwestern unter den Fahrgäs-ten folgt der wichtige Zusatz: „Manchmal mit Ausschreitungen.“

Leider erkundet die antike Schnuckelbahn keine geheimen Wege und unbekannten Gleise und auch die Sehenswürdigkeiten in Innenstadt, Viertel und Neustadt sind für BremerInnen nichts Neues. Der eigentliche Unterhaltungswert liegt in der Begegnung mit Menschen, von denen wir immer geahnt haben, dass es sie geben muss, genauso wie Funkfüchse und Flugzeugmodellbauer. Straßenbahnfreaks.

Gabriele Burtchen fährt zusätzlich zum Fahrer beziehungsweise der Fahrerin als Bremserin mit und ist seit 25 Jahren bei der Sache. Allein durch ihr Geschlecht verunsichert sie das Klischee, bei Menschen mit den beschriebenen Leidenschaften handele es sich um allein stehende Riesenbabys im Körper eines erwachsenen Mannes, vornehmlich mit Watschelgang, schlecht sitzender Hose und der Unfähigkeit anderen Menschen – vor allem Frauen – in die Augen zu schauen.

Allerdings ist Burtchen zusammen mit ihrer Tochter eine der wenigen aktiven Frauen im Verein. Phantasien über Menschen, deren Hobbies weder körperliche Ertüchtigung noch eine ausgesprochene soziale Komponente beinhalten, werden außerdem genährt durch die Moppelchen, die unterwegs dem Triebwagen 134 auflauern, um ein exklusives Foto zu schießen. Die können dann im Internet bewundert werden: Straßenbahn von hinten, von vorne, von der Seite, zu zweit oder alleine. Manch einer trägt auch das Konterfei der Liebsten (Linie 6) auf dem T-Shirt durch die Gegend. Eiken Bruhn

Nächste Termine: 6. August, (die leichte Tour), 20. August (die harte Tour), Weitere Infos unter der Telefonnummer 5596-7615, Abfahrt jeweils zu (fast) jeder vollen Stunde ab Hauptbahnhof

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