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Am Rande der Zivilisation

„Der Drache im Reisfeld“: Das Kunstamt Reinickendorf zeigt Fotografien aus Vietnam

Vietnam ist weit. Aus dem Land, das wir am ehesten aus Kriegsberichten kennen, werden uns visuelle Botschaften geschickt, die von keinem Krieg und keiner Moderne zu wissen scheinen: Die Ausstellung „Der Drache im Reisfeld“ von zeitgenössischen Fotografen des Landes vermittelt eine Suche nach zeitloser Harmonie und Stille.

„Die höchste Anerkennung für ein Foto lautet: es gleicht einem Gedicht“, schreibt Pham Thi Hoai auf einer Tafel am Beginn der Ausstellung. Und tatsächlich: Wie der Reim in der Poesie ein Echo erzeugt, scheint jedes Ding und jedes Lebewesen auf den schwarzweißen Fotografien einen Nachhall in die Landschaft zu schicken. Manchmal sind es Fußspuren, die fragil und doch genau über die Kämme der Sanddünen laufen in einem Bild von Manh Sinh Nguyen, oder schmale Keile von Wasserwellen, die in einer Komposition von Thanh Truong zwei schlanken Booten folgen: als ob das Leben selbst gezeichnet hätte.

„Seelenverwandtschaft“ sieht Thang Duy zwischen kleinen Kindern und Karnickeln, die vor ihnen in Drahtkörben gefangen sind. Eine solche Beziehung des Mitempfindens zwischen den Menschen und ihrer Umgebung zu stiften scheint das Anliegen aller zwölf Fotografen. Als hätte das Land sich eben erst aus dem Wasser erhoben und wäre noch von keiner Geschichte besetzt worden, glänzen Flüsse und Reisfelder. Bambusstege und Fischernetze, Schuhmacher und ein Friseur, der einem Kunden, auf einem Bein stehend, die Haare schneidet, bezeugen eine einfache und wehrlose Zivilisation.

Weit ist Vietnam. Weit ist auch Reinickendorf, zumindest aus der Perspektive der Bezirke, die sich für das Zentrum von Berlin halten. Daran will Cornelia Gerner, seit April stellvertretende Leiterin des Kunstamtes Reinickendorf, etwas ändern. Sie hat die vietnamesischen Fotografen vom Haus der Kulturen der Welt in die Rathausgalerie geholt, um neue Verbindungen zu knüpfen. Weitere Kooperationen, mindestens einmal im Jahr, stellt sie sich vor mit Klassen der Kunsthochschulen aus Charlottenburg und Weißensee. Die nächste Ausstellung wird den Künstlern der Panzerhalle, einem Atelierhaus in Groß Glienicke, gelten.

Zinnteller und Trachten, Reliefs von Arbeitern und Bauern, Büsten von Bürgermeistern: das ist der übliche Schmuck im Foyer des Rathauses, dessen großzügiges Treppenhaus nur bedingt als Galerie taugt. Reinickendorf, einer der größten Bezirke Berlins, gleicht einer Ansammlung von Einfamilienhäusern, der städtische und kommunikative Orte fehlen. Die Randlage aus Westberliner Zeiten ist hier noch nicht überwunden.

Das weiß der Bezirk und hegt deshalb einen Plan: Wenn einmal die denkmalgeschützten Pavillons der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik, die ins Humboldt-Krankenhaus umziehen soll, leer stehen, dann würde dort gern die Kulturverwaltung mit der Musikschule hinziehen und dem Bezirk einen kleinen Konzertsaal und eigene Ausstellungsräume einrichten. „Dann könnte man da auch Ateliers eröffnen und andere Künstlergenerationen für den Bezirk gewinnen“, meint Cornelia Gerner. Die Klinik als künftiger Kulturstandort ist das Kapital, auf dem sie ihre Hoffnungen für den Aufbau einer Kunstszene gründet. Andere Bezirke streichen derweil ihre Kultur zusammen.

KATRIN BETTINA MÜLLER

„Der Drache im Reisfeld“. Rathausgalerie Reinickendorf, Eichborndamm215–239, Mo.–Fr. 9–17 Uhr, bis 28. Juli

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