piwik no script img

Die Gebrüder Barfuß & Lackschuh

Viele Gemeinsamkeiten werden Gerhard Schröder und Tony Blair nachgesagt. Eines trennt sie jetzt: der eine ist im Aufwind, dem anderen geht’s dreckigvon DOMINIC JOHNSON

Wie gut für Tony Blair, dass es vor ihm schon andere Labour-Premierminister in Großbritannien gab. „Eine Woche ist in der Politik eine lange Zeit“, fand Harold Wilson (1964 – 1970). „Man kann nicht mit Geldausgeben den Weg aus einer Krise finden“, bemerkte James Callaghan (1976 – 1979). Wilson erkannte die Tragik der Vergänglichkeit, Callaghan die der Sozialdemokratie.

Wie schlecht für Tony Blair, dass es vor ihm keinen erfolgreichen Labour-Premierminister in Großbritannien gab. Dann nämlich müsste der Premier, der sich aus den Geschichtsbüchern nur die schönen Seiten merkt, in der ersten großen Imagekrise seiner politischen Karriere nicht dastehen wie ein blutiger Anfänger. Er würde keine internen Memos schreiben, in denen er eine Liste von Mängeln mit dem Halbsatz „und das trifft sogar auf mich zu“ garniert und vorschlägt: „Wir sollten uns jetzt eine Initiative ausdenken [...] etwas Hartes mit Biss.“

Dieses peinliche interne Strategiedokument, gezeichnet „TB, 29. April 2000“, fand seinen Weg an die Murdoch-Presse ausgerechnet zu Beginn dieser Woche, die im PR-Kalender der Regierung Blair eigentlich für die größte staatliche Ausgabensteigerung in der Geschichte der Labour-Partei reserviert ist. Das Weihnachtspaket zur Sommerpause, das Finnanzminister Gordon Brown gestern verkündete, enthält umgerechnet 130 Milliarden Mark Mehrausgaben über die nächsten drei Jahre. Ein Füllhorn guter Schlagzeilen soll sich ab heute über Labours geschundene Seele ergießen. Aber jetzt steht da schon zum Beispiel: „Blair: Labour sieht schwach und weich aus“. Nun muss sich nur noch jemand im Zusammenhang mit dem Ausgabenpaket an James Callaghan erinnern.

Und die Woche ist erst halb um. Die britische Politik ist heute noch schnelllebiger als zu Zeiten Harold Wilsons. Damals blieb Labour immerhin noch sechs Jahre an der Macht. Heute, nach drei Jahren, liegt Labours Vorsprung vor der konservativen Opposition in Umfragen nur noch bei sieben Prozent. Die nächsten Wahlen, voraussichtlich 2001, dürfte die Partei zwar gewinnen, aber nicht mehr mit Riesenmehrheit. Dann müsste Blair anfangen, auf seine Abgeordneten Rücksicht zu nehmen. Das ist er nicht gewohnt.

Im letzten Halbjahr hat die Revolte gegen New Labour sichtbar begonnen. Mit der Trickkiste der Modernisierer schlägt der Partei- und Beamtenapparat nach Jahren der Demütigung zurück: anonymer Rufmord, zielgenaue Indiskretionen, Schüren von Zwietracht, bewusste Irreführung, um den Gegner auf dessen eigenes Glatteis zu lenken. Die Attacken sind um so erfolgreicher, als es bei Labour keinen aktiven Führer der Linken gibt – außer Ken Livingstone, dessen Wahl zum Londoner Bürgermeister im Mai als Parteiloser Labours Dünnhäutigkeit bloßstellte.

Dabei hat New Labour doch vieles richtig gemacht. Die Wirtschaft läuft prima, der Staatshaushalt erwirtschaftet einen Riesenüberschuss nach dem anderen. Die vielen Reförmchen in Bildung, Gesundheit und Verwaltung haben im Kleinen vieles verbessert. Aber wer jedes Reförmchen als Jahrhundertreform verkauft, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Erwartungen der Realität vorauseilen und wenn die daraus folgende Enttäuschung sich vor allem an Stilfragen festmacht.

Wäre Blair ein Labour-Premierminister wie alle Labour-Premierminister vor ihm, würde er jetzt die Abkehr von der Morgenröte verkünden: Runter von den hehren Zielen, hinein in die Mühen der Ebene! Die Lage der Partei zwingt ihn eigentlich dazu. Den nächsten Parteitag im Herbst, der das Wahlprogramm für 2001 festschreiben wird, wird die Führung nur mit Hilfe der Gewerkschaften überstehen. Allein dieser Hort der traditionellen Sozialdemokratie ist listig genug, die Livingstone-begeisterte Basis zu neutralisieren. Bei Vorbereitungsgesprächen haben sich die Gewerkschaften bereits durchgesetzt: Keine weiteren Verfassungsreformen, dafür mehr Soziales. Old Labour ist wieder obenauf.

Die in den letzten Jahren aufgehäuften Haushaltsüberschüsse sinnvoll zu verwenden, wäre tatsächlich ein lohnendes Ziel. Hier wäre der Held der Stunde aber nicht der leichtfüßige Blair, sondern der strenge Finanzminister Brown, dessen Aufstieg derzeit als unaufhaltsam gilt. Brown ist nicht nur Sparkommissar, sondern hegt auch langjährige Ambitionen auf das Amt von Blair. Dem bleibt da nur die Flucht in den Populismus, und die betreibt er rhetorisch längst: Mehr Härte gegen Verbrecher und Asylanten, mehr Geld fürs Militär - „etwas Hartes mit Biss“ eben. Leider ist dies das Terrain der Konservativen.

Der Premier findet sein Standbein nicht mehr. Aber auch wenn nun immer mehr Briten sagen, er habe seinen Job verfehlt, wird sich Blair nie umdrehen und zurückmarschieren. Er wird immer das Gesicht in die Sonne seines „New Britain“ halten, von dem er sich rückwärts stolpernd immer weiter entfernt.

Hinweis:Schlecht für Tony Blair, dass es vor ihm keinen erfolgreichen Labour-Premier gab. Denn dann würde er in seiner ersten großen Imagekrise nicht dastehen wie ein blutiger Anfänger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen