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Das Erbe der Attentäter

Jedes Jahr am 20. Juli treffen sich Angehörige der Hitler-Attentäter in Berlin. Ihre Meinung über das öffentliche Bundeswehrgelöbnis am Bendlerblock, in dessen Hof mehrere Verschwörer hingerichtet wurden, ist geteilt. Franz von Hammerstein, Peter Finckh und Axel Smend beziehen Stellung

Franz von Hammerstein (79), Pfarrer im Ruhestand, langjähriger Leiter von „Aktion Sühnezeichen“: Meine beiden Brüder waren aktiv am Attentat gegen Hitler am 20. Juli beteiligt – Ludwig war Ordonnanzoffizier bei Claus von Stauffenberg, Kunrat hat für Carl Goerdeler gearbeitet, der von den Widerstandskämpfern als künftiger Staatspräsident vorgesehen war. Ich war kriegsdienstuntauglich und habe in dieser Zeit in einem Stahlbetrieb gearbeitet. Als der Anschlag fehlschlug, tauchten meine Brüder unter und wurden als Deserteure verfolgt. Meine Mutter, meine Schwestern und ich wurden verhaftet und in Sippenhaft genommen. Ich war im Gestapo-Gefängnis in der Lehrter Straße, im KZ Buchenwald und in Dachau. Erst im Mai 1945 wurde ich befreit.

Wenn die Bundeswehr Rekruten am 20. Juli vereidigen will, dann soll sie das in einer Kaserne oder in Sachsenhausen machen, wo Widerstandskämpfer zu Tode gekommen sind. Ich halte nichts davon, das Treffen der Angehörigen durch das Gelöbnis zu belasten. Ein ungestörtes Treffen ohne Kontrollen und Absperrungen ist sehr wichtig, weil die Angehörigen jahrzehntelang so wenig beachtet wurden. Nach Kriegsende galten die Männer des 20. Juli und ihre Verwandten vielen noch als Verräter. Auch in meiner Arbeit für die „Aktion Sühnezeichen“ wurde ich als „Nestbeschmutzer“ beschimpft.

Wenn eine Vereidigung am Bendlerblock stattfindet, sollten die Rekruten dann auch in die dortige Ausstellung gehen und sehen, dass der Widerstand nicht nur von Militärs geleistet wurde. Sie können sehen, dass die Wehrmacht auch Kriegsverbrechen begangen hat. Generell bin ich dafür, Konflikte friedlich zu lösen. Der Nato-Krieg gegen Jugoslawien im vergangenen Jahr war kein human geführter Krieg. Im Grunde war er verbrecherisch, weil auch zivile Objekte wie Krankenhäuser bombardiert wurden. Das sollte bei der Vereidigung auch erwähnt werden.

Die Störung des Gelöbnisses letztes Jahr war (bis auf die Form) in Ordnung. Wenn Kriegsdienstgegner bei der Vereidigung dieses Jahr auch der Wehrmachtsdeserteure gedenken wollen, haben sie damit meine volle Sympathie. Viele desertertierten damals, da sie gegen den Krieg und gegen Hitler waren.

Peter Finckh (62), Unternehmer in Ulm: Mein Vater, Eberhard Finckh, war ein Freund des Attentäters Claus Graf von Stauffenberg, der Patenonkel meiner Schwester war. Er diente als Oberquartiermeister im Rang eines Oberst im Generalstab und war für die Versorgung der deutschen Armeen an bestimmten Frontabschnitten zuständig. Mein Vater war immer gegen die Nazis und beteiligte sich aktiv am Offiziers-Aufstand gegen Hitler. Am 30. August 1944 wurde er hingerichtet. Er war 44 Jahre alt.

Ich selbst bin 1937 geboren und habe keine lebendige Erinnerung mehr an ihn. Das Attentat als Widerstand gegen einen Diktator finde ich positiv – aber nicht deshalb, weil mein Vater daran beteiligt war, und obwohl vielleicht 80 Prozent der Beteiligten ein eher zweifelhaftes Demokratieverständnis hatten. Dass nun wieder am 20. Juli am Bendlerblock Rekruten vereidigt werden – davon halte ich nichts.

Jeder Arbeitnehmer ist seinem Arbeitgeber zu Loyalität verpflichtet, da braucht es keines Eides. Außerdem instrumentalisiert die Bundeswehr den 20. Juli – die Armee eines Staates, gegen den wir jahrelang prozessieren mussten, ehe wir Angehörige eines hingerichteten Widerstandskämpfers überhaupt eine Wiedergutmachung bekamen. Dem unmilitärischen Widerstand etwa der „Weißen Rose“ oder des Bombenlegers Johann Georg Elser kann ich mehr abgewinnen. Außerdem versucht sich der Staat durch das Gelöbnis in die Tradition des Widerstandes zu stellen, obwohl es die Bundesrepublik noch nicht einmal geschafft hat, den Justizapparat von den Nazis zu säubern – nur SED-Richter finden heute keine Anstellung mehr.

Ich kann nicht verstehen, wenn das Gelöbnis heute damit begründet wird, dass auch die Bundeswehrsoldaten für Deutschlands Ehre kämpfen. Ich war nicht beim Bund, auch mein Sohn musste nicht hin. Wir können mit dem Militär nicht viel anfangen. Deshalb fand ich es gut, dass die Vereidigung vergangenes Jahr gestört wurde, auch wenn die Form (mit nackten Demonstranten) nicht so glücklich war. Aber das ist eine Stilfrage. Wenn dieses Jahr eine Gruppe Linker auch der Deserteure gedenken will, finde ich das in Ordnung. Ich habe die Wehrmachtsdeserteure immer unterstützt.

Axel Smend (56), Generalbevollmächtigter einer Bank in Berlin: Mein Vater, Günther Smend, war Oberstleutnant im Generalstab und arbeitete häufig in unmittelbarer Nähe Hitlers. Im Prozess beim Volksgerichtshof wurde ihm unter anderem vorgeworfen, sein Wissen um das geplante Attentat nicht weitergegeben zu haben. Er wurde am 8. 9. 1944 in Plötzensee gehängt. Er war damals 32 Jahre, ich nur vier Monate alt. Mit anderen Kindern der Widerstandskämpfer wurden wir in die Schweiz gebracht. Es geht mir sehr nahe, mit meiner Mutter in der Hinrichtungsstelle Plötzensee zu sein, weil ich weiß, wie sehr sie das bewegt.

Wenn jetzt am 20. Juli im Bendlerblock Bundeswehrsoldaten vereidigt werden, erscheinen mir der Ort und das Datum passend. Denn hier war die Schaltzentrale der Verschwörung, hier arbeitete von Stauffenberg. Die Bundeswehr kann sich in diese Tradition stellen. Wie die Offiziere damals brauchen die heutigen Soldaten Mut und Entschlossenheit. Wie damals sollen sie für die Ehre und die Verteidigung Deutschlands kämpfen.

Allerdings haben sich nicht nur Militärs im Widerstand für ein besseres Deutschland eingesetzt. Ich denke, mein Vater wäre mit dem Gelöbnis am 20. Juli 2000 am Bendlerblock einverstanden.

Völlig unpassend fand ich dagegen die Protestaktion der Gelöbnis-Gegner vor einem Jahr. Beeindruckt war ich, wie schnell man das in den Griff bekommen und auch gedanklich zur Seite geschoben hat. Auch wenn ich selbst als „weißer Jahrgang“ nicht beim Bund war, kann ich nicht verstehen, wenn manche an diesem Tag und Ort der Deserteure gedenken wollen. Das hat mit dem militärischen Widerstand nichts zu tun. Die Tatsache, dass auch die Wehrmacht, aus der die Offiziere des 20. Juli stammen, im Osten Kriegsverbrechen begangen hat, berührt nicht die Taten unserer Angehörigen. Insofern kann sich die Bundeswehr auch auf die Widerstandstraditon in der Wehrmacht beziehen.

Am 20. Juli werde ich an dem Gelöbnis teilnehmen – so wie ich jedes Jahr mit meiner Mutter dabei bin, wenn auch meines Vaters gedacht wird.aufgezeichnet von PHILIPP GESSLER

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