: Lesen ist immer Gefühl
„In der deutschen Literatur bin ich zu Hause“: Was aber den Standort seines Verlags anbetrifft, ist Aufbau-Verleger Bernd F.Lunkewitz eher leidenschaftslos. Doch noch ist unklar, ob der Aufbau-Tochterverlag Rütten & Loening Berlin wirklich verlässt
von CHRISTIANE TEWINKEL
Bernd F. Lunkewitz trägt Schwarz. Es ist das Schwarz eines Mannes, der den Genuss liebt. Der im Filmgeschäft tätig ist. Los Angeles. Dazu trägt Lunkewitz, 52, eine Brille wie Heiner Müller. Das täuscht aber. Mit dem nichtkathartischen Theater will Lunkewitz nichts zu tun haben. Episches Theater, die Suhrkamp-Kultur und Grass' „Ein weites Feld“ haben für ihn eins gemeinsam: „Keine empathische Einfühlung.“ Und Lunkewitz ist für Katharsis. „Ergebnis seelischer Erschütterung“, übersetzt er.
Der Leiter des Berliner Aufbau-Verlags residiert in einem großzügigen Büro am Hackeschen Markt. Bis unter die Decke sind die Regalwände mit Büchern ausstaffiert: Die leinen- und ledergebundenen Klassiker hinter Glas, die übrigen frei zugänglich und Donna Cross' „Die Päpstin“ gleich hinter dem Schreibtisch, so dass der Blick der Besucherin unweigerlich darauf fällt. Der historische Roman gehört zu den besonderen Zugnummern des Tochterverlags Rütten & Loening.
Als Lunkewitz den Verlag 1991 von der Treuhand erwarb, hatten im Zentrum des Programms deutsche und internationale Klassiker gestanden. Bei Rütten & Loening war die Zeitschrift Sinn und Form erschienen, wurden Tolstoi und Tschechow, Rolland und Zola, Dickens und Thackeray herausgegeben. Dem Makel, der kurz nach der Wende allen Ostwaren anhaftete, begegnete man zunächst mit einem anspruchsvollen, edel gestalteten Programm. Ohne Erfolg.
Um gegenüber dem Aufbau-Verlag, dem Rütten & Loening 1964 eingegliedert worden war, trotzdem ein eigenes Profil gewinnen zu können, entschied man sich für Populärwissenschaft und unterhaltende Literatur. Heute steht Aufbau für Anspruch, Rütten & Loening für Unterhaltung. „Lesen soll Spaß machen“, sagt Lunkewitz, „das ist der ganze Sinn und Zweck der Literatur.“ Historische Romane kommen da gerade richtig, lassen sich doch mit ihnen die Fliegen der Ergötzung und Belehrung besonders gut mit einer Klappe schlagen. Und besser Klappe als Holzhammer. „In Deutschland“, sagt Lunkewitz, „wird zu oft versucht, mit dem Holzhammer auf den Verstand zu prügeln.“ Eigentlich ist der gebürtige Kasseler Immobilienmakler mit abgeschlossenem Germanistikstudium. Statt eine Hochschullaufbahn einzuschlagen oder Journalist zu werden, wollte Lunkewitz aber lieber viel Geld verdienen. Und weil ihm das recht gut gelang, ist er schließlich auch Verleger geworden. „Verleger wird man, indem man kauft oder gründet“, sagt er. Da sei es ihm nicht anders als dem Verlagsgründer Joseph Rütten gegangen. Der hatte am 1. Juli 1844 bekannt gegeben, mit Zacharias Loewenthal – später Loening – in Frankfurt am Main eine „Literarische Anstalt“ gegründet zu haben. Nie, so heißt es in der kleinen Anzeige, wolle man dazu beitragen, die Zahl der unnützen Bücher zu vermehren. Zu den ersten Erscheinungen des Verlags gehörten Hoffmanns „Struwwelpeter“ und Marx’/Engels’ „Die heilige Familie“.
Fast hundert Jahre blieb der Verlag in Frankfurt, 1936 wurde er zwangsarisiert und nach Potsdam verlegt. Seither ist Rütten & Loening mit dem Standort Berlin verbunden. Nun scheint es wieder nach Frankfurt zurückzugehen. Denn im Zuge der Expansion des Verlags braucht Lunkewitz neue Büroräume. Und weil der Berliner Senat seine Bitte um Ankauf des kleinen Grundstückes an der Großen Präsidentenstraße, gleich hinter dem Verlagsgebäude, zuerst ignorierte und dann abschlägig zu bescheiden schien, hat der Verlagsleiter schon mal eine Presseerklärung veröffentlicht, nach der Rütten & Loening die Stadt gen Frankfurt verlassen wird. Vor wenigen Tagen indes hat der Senat signalisiert, erneut Gespräche führen zu wollen. Lunkewitz steht dem Hin und Her recht leidenschaftslos gegenüber. Er sieht sich nirgendwo als Lokalpatriot: „In der deutschen Sprache und Literatur, da bin ich zu Hause.“ Dass sein erster Brief an Diepgen monatelang unbeantwortet blieb, wertet Lunkewitz als Anzeichen, dass der Aufbau-Verlag als Ganzes nicht bekannt ist. Dass aber der Berliner Senat gegenüber den Strukturen des ehemaligen Vorzeigeverlags der DDR lange ignorant schien, geht ihm „am Knie vorbei“. Die Frage nach dem Grundstück und damit nach dem Standort des Verlags Rütten & Loening sei gar nicht auf politischer Ebene, sondern nur auf der mittleren Verwaltungsebene diskutiert worden.
Lunkewitz liegt etwas an Berlin, keine Frage. „Ich bin doch kein Spaßmacher.“ Doch er sagt auch mit dem Gleichmut dessen, der pragmatische Lösungen bevorzugt: „Wir sind doch sowieso in Frankfurt am Main.“ Und fliegen muss er ohnehin andauernd. In Los Angeles hat er nämlich auch eine Wohnung. Das Filmgeschäft. Die Ansprache an das Herz. „Sehen Sie“, sagt der Verfechter der empathischen Einfühlung, „diese Tautologie, das Wort ‚Gefühlskino‘, das können auch nur die Deutschen erfinden. Kino ist immer Gefühl. Genau wie das Lesen.“
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