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Aus dem Spickzettel gefallen

Vom Pestbauch Grünewalds bis zur Lache von Beuys: Arbeiten von Anne Berning in der Galerie Kuckei und Kuckei

Gertrude Stein haben die Maler oft Leid getan. Weil Maler immer wieder vor dieselbe Leinwand treten, sich am selben unvollendeten Werk abarbeiten. Sie können nicht einfach wie der Schriftsteller eine Seite vollschreiben, um dann umzublättern und auf der nächsten Seite fortzufahren. Was vorher war, steht dem Maler auch nachher ständig vor Augen.

Vielleicht tut sich Anne Berning manchmal auch Leid. Jedenfalls zitiert sie Gertrude Stein in einer ihrer neuesten Arbeiten „First Chapter, Last Page“, einem großen Tisch, der mit vielen Zitaten – geschriebenen und gemalten – gedeckt ist. Aus der Kiste der Kunstgeschichte wird da vom Pestbauch Grünewalds bis zur Lache von Beuys ein abendlandfüllendes Menü serviert. Recht einladend sieht das auf den ersten Blick nicht aus. Wie überhaupt alle Arbeiten Bernings in dieser Ausstellung. Was an den Wänden hängt, gleicht der Zettelwirtschaft einer Pinnwand. Hier ein blankes Stück Farbprobe, dort das Fragment eines historischen Werks. „I Can See ... (Lichtenstein)“ nennt sie das dann. Und natürlich entgeht auch der Betrachterin die Ecke nach Roy nicht.

Anne Berning beschäftigt sich schon seit Jahren mit der Kunstgeschichte und den Geschichten, die diese schreibt. Mit überdimensionalen, in Öl gemalten Buchrücken von Künstlerbiografien hat es einmal begonnen, ebenso riesige Kunstpostkartenkopien folgten. Ein Veronese-Fragment oder ein Van-Meer-Frauenkopf in einem weißen Rahmen, so lehnten diese Bilder an der Wand wie die Sonderposten einer Buchhandlung oder Postkarten in einem Ständer. In ihrer Plakativität haben die schweren Ölbilder fast einen verspielten, poppigen Reiz, zumal die Farben so richtig knallen. Aber die Künstlerin selbst versteckt sich in ihnen hinter den aufdringlichen Zitaten.

Mit den neuen Wand- und Rauminstallationen lehnt sich Anne Berning viel weiter aus ihrem Atelier hinaus. Alles, was sie verarbeitet hat, sind Anreiz, Versatzstücke und Arbeitsmittel ihres Studios. Von der Handzeichnung bis zur Fotografie und schriftlichen Beobachtung wirft sie alles in einen Topf. Am Ende hat sie einen Bild- und Buchstabensalat: „Farbe A über Farbe B: Alles schon dagewesen“, heißt es an einer Stelle, „ich bin völlig erschöpft“, an einer anderen.

Man kann das als Bekenntnis einer Künstlerin lesen, die in ihrem Atelier aufgeräumt, sich von ihren Spickzetteln endlich befreit hat. Es könnte aber auch ein Eingeständnis des Scheiterns sein – „Das Ende des 20. Jahrhunderts“ nach Joseph Beuys mag da einen Schlussstrich ziehen. Doch ganz so einfach macht Anne Berning es sich und den Betrachtern nicht.

Den früheren unverstellten Blick auf großformatige Kunstgeschichtspanoramen hat jetzt nur noch, wer in die Teile der Collagen eindringt. Zu entdecken gibt es einiges. Und irgendwie denkt man dann auch nicht mehr an die Künstlerin vorm unvollendeten Meisterwerk.

PETRA WELZEL

Bis 19. 8., Di.–Fr. 11–18, Sa. 11–17 Uhr, Kuckei + Kuckei, Linienstr. 158, Mitte

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