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Die Käse-Connection

Die Auvergne sei immer Abreise, sagt ihr Dichter Henri Pourrat. Das soll sich jetzt ändern: mit der „großen Käseplatte“ und einem Tanz auf dem Vulkan

Ein Ferienland braucht nicht nur Straßen, sondern Ferienstraßen.Vor drei Jahren bekam die Auvergne ihre Käsestraße.

von GÜNTER ERMLICH

Georges Fabre hatte einen Traum: „Irgendwann werde ich tausend Kühe haben und Käse in den Bergen machen.“ 1987 war es so weit: Monsieur Fabre ging ins Cantalgebirge und wurde Buronnier, halb Almhirt, halb Käsebauer. Eine knochenharte Arbeit, die sein Vater 25 Jahre vorher aufgegeben hatte. Von Mai bis Oktober lebt Monsieur Fabre hier oben im Buron, einer steinernen Sennhütte, im Einklang mit der Natur und seinen inzwischen 68 kräftigen, kastanienbraunen Salers-Rindern, die die Weiden des Hochplateaus tagein, tagaus abgrasen.

Sechs Uhr in der Früh. Zeit zum Melken. Raureif liegt auf dem Gras, der morgendliche Nebel lichtet sich nur zögernd. Monsieur Fabre und sein Helfer öffnen Holzgatter, damit die Kälber zu den Mutterkühen hoppeln können. Denn die Salers-Kühe, eine dickköpfige Rasse, geben nur Milch, wenn ihre Kälber neben ihnen stehen. Zwei Stunden melken die Männer per Hand, Kuh für Kuh, und schütten die weiße Milch in Fässer aus Kastanienholz.

Drinnen im niedrigen, kühlen Buron, gleichermaßen Küche, Schlafbereich und „Käsefabrik“, verarbeitet Fabre die kuhwarme Milch peu à peu zum Salers-Käse: Die Milch gerinnt, wird mit Lab zu einer Masse gerührt, dann zweimal gepresst, um ihr Wasser zu entziehen, und schließlich zu einem 45 Kilo schweren Käserad geformt. Der Käse muss dann zwei bis drei Monate lagern, bevor er abtransportiert wird und im Keller eines Affineurs seine volle Reife und seinen herzhaften Geschmack erlangt.

Buronnier ist ein fast ausgestorbenes Metier, die meisten Burons stehen leer und verfallen. Die jungen Leute, erzählt Monsieur Fabre beim deftigen Frühstück vor seinem Steinhaus, scheuten die Fron des entbehrungsreichen Lebens auf der Alm. Und industriell gefertigter Käse aus großen Molkereien sei auch in der Auvergne längst auf dem Vormarsch. 20.000 Franc Unterstützung, etwa 6.000 Mark, erhält Monsieur Fabre pro Jahr vom Département Cantal für seine Almwirtschaft. Als Gegenleistung verpflichtet er sich, Touristen die Prozedur der Käseherstellung näher zu bringen. Aber bitte nur zu bestimmten Zeiten und nach Anmeldung!

Wir sind in der Auvergne, einer dünn besiedelten Region inmitten Frankreichs, die einen großen Teil des Massif Central umfasst. Es gibt Landstriche mit einer Dichte von zwei Einwohnern pro Quadratkilometer! Die Auvergne, das sind „les grands espaces“, weitflächige Mittelgebirgslandschaften mit Feldern, Wiesen und Weiden. Ein grünes Land. Frankreichs Wasserreservoir, Quellgebiet der Loire, der Dordogne und der Garonne. „Diese Landschaft erteilt gewiss keine Lektion in Glückseligkeit, sondern fordert zum Nachdenken auf“, lesen wir beim Auvergne-Dichter Henri Pourrat. „Die Auvergne ist niemals nur Versprechen, sie ist Qual, ist Inspiration, ist Abreise, nicht aber Ankunft.“ Das soll sich ändern.

Noch schlummert das Ferienland Auvergne. Bis zum Bau der Autoroute A 75 von Clermont-Ferrand, der Hauptstadt der Region, nach Montpellier war die „grüne Lunge“ nur über kurvenreiche Landstraßen zu erreichen. Gift für Autotouristen.

Ein Ferienland braucht nicht nur Straßen, sondern vor allem Ferienstraßen. Das haben sich auch die Auvergnaten gedacht und vor drei Jahren die Käsestraße, „Route des Fromages A.O.C d’Auvergne“, kreiert. Besucher können Käsebauernhöfe wie den von Monsieur Fabre ansteuern, Molkereien und Käsereien, Keller der Affineurs und natürlich die Käsemuseen.

„Die Auvergne ist eine große Käseplatte“, verheißt ein Werbeslogan. Das ist keine große Übertreibung, denn allein 5 der 33 Rohmilchkäsesorten Frankreichs mit dem Qualitätssiegel Appellation d’origine contrôlée (AOC) stammen aus der Region. Für Franzosen sind sie nicht nur Gaumenevents, sondern hoch geschätzte Kulturgüter: Der kraftvoll-urige Cantal, Käseprimus inter pares, der schon den Römern gemundet hat; der St.-Nectaire, geschmeidig und weich mit der Geschmacksnote Nuss; der Bleu d’Auvergne, ein cremig-milder Blauschimmelkäse; der Fourme d’Ambert, ein sehr milder Blauschimmel von fruchtigem Geschmack, und schließlich der Salers, der einzige AOC-Käse, der ausschließlich auf der Alm hergestellt wird. Ein Rohmilchkäse aus der Auvergne, das ist für trainierte Gaumen so genussvoll wie ein Grand-Cru-Wein aus dem Bordelais.

Stippvisite in Salers, im Südwesten der Auvergne. Auf dem Marktplatz stoßen wir, in Gestalt der bronzenen Büste von Tyssandier D’Escous, auf die allgegenwärtige Käse-Connection: Der Veterinär und Wissenschaftler hatte im 19. Jahrhundert durch Kreuzungen die Salers-Rindviecher zu Ia-Milchspendern hochgezüchtet.

Salers ist laut Ortsschild eines der „schönsten Dörfer Frankreichs“, „das französische Rothenburg“ und ebenso überlaufen von Tagestouristen. Eine mittelalterliche, museale Puppenstube. Mit ansehnlichen Renaissance-Bürgerhäusern, Souvenirboutiquen, Galerien und Restaurants, keineswegs lieblich-heimelig, sondern durch das dunkle Basaltgestein der Häusermauern und die grauen Schieferdächer trutzig-herb. In seiner Maison des Templiers, früher Herberge für Jakobspilger, hat Philippe Garrigue, der passionierte Ortschronist, ein Museum für Regionalgeschichte eingerichtet. Die Einwohnerschaft von Salers, derzeit 404 Seelen, 80 Prozent Rentner, habe sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert, erzählt Garrigue. Die jungen Leute seien zum Arbeiten in die Städte Paris, Bordeaux und Toulouse ausgewandert, dafür hätten sich nach und nach Künstler, Aussteiger und betuchte Ruheständler eingenistet.

Was Salers im Kleinen, ist der Puy de Dôme im Großen: ein Touristenmagnet. Eine halbe Million Menschen erobert jedes Jahr den 1.465 Meter hohen Vulkangipfel, die meisten allerdings automobil auf der windungsreichen Straße, die häufig das Endstück einer anspruchsvollen Tour-de-France-Etappe abgibt (so im Jahr 1964 für das Duell der Giganten Poulidor und Anquetil). Wir Fußgänger folgen dem alten Maultierpfad bergauf zum Panorama-Restaurant. Der Gipfel bleibt unerklimmbar, der militärische Sicherheitsbereich mit Wetterobservatorium und Relaisstation ist umzäunt.

Trümmer eines Merkurtempels zeugen davon, dass man dereinst dem lateinischen Gott der Reisenden und Kaufleute huldigte. Anno 1848 vollführte der Physikus Blaise Pascal hier oben sein wegweisendes Barometer-Experiment und bewies, dass auch Luft ihr Gewicht hat. Und ein Denkmal verewigt Eugène Renaux, der im Jahre 1911 nach 5 Stunden und 10 Minuten im Doppeldecker, von Paris kommend, wohlbehalten auf der Vulkankuppe landete und dafür den Grand Prix Michelin einheimste. Heute schwingen sich bunte Paraglider und Drachenflieger, frühmorgens auch Heißluftballons, dank kräftiger Aufwinde in die Lüfte und schweben über die bewaldeten Vulkanhügel.

Mit den Monts Dore und den Monts du Cantal formt die Chaîne des Puys das Vulkanland Auvergne, das größte Vulkangebiet Europas, wie jeder französische Schüler im Geografieunterricht lernt. Die Chaîne des Puys, 6.000 bis 8.000 Jahre jung, ist vulkangeschichtlich ein Teenie. 80 Vulkane, ehemalige Krater, urzeitliche Kegel und Kuppen ziehen sich wie eine Perlenkette von Norden nach Süden. Der Puy de Dôme, Wahrzeichen der ganzen Auvergne, ist ihr Mittelpunkt.

Und dient weltweit als vorzügliches Verkaufsargument auf dem Etikett der hippen Mineralwassermarke Volvic aus dem nahe liegenden gleichnamigen Dorf. „Durch Lavastein natürlich gefiltert“, – der Werbespruch auf der Flasche klingt gesund, genauso gesund wie „von Felsquellwasser gebraut“ der Firma Krombacher Pils aus dem Sauerland. Die Firma Volvic hatte die private Eigentümergemeinschaft – im Schnitt gehört ein Vulkan 200 bis 250 Eigentümern – nie gefragt, ob sie das Foto des Puy de Dôme für ihre Werbezwecke verwenden dürfe. Zumal das französische Gesetz kein Recht am Bild für nichtbewohnte Landschaften kennt. Doch als die Vulkan-Eigentümer irgendwann drohten: „Keine Kamera mehr auf unserem Grund“, zahlte Volvic ihnen freiwillig ein paar Franc Entschädigung, um das so erfolgreiche Vulkanbild weiter benutzen zu können.

Doch dem erloschenen Hausberg von Clermont-Ferrand wollte man weit übler mitspielen. Seine Eingeweide sollten für ein vulkanisches „Disneyland“ ausgehöhlt, die Besucher durch zwei Tunnel vom Fuß hinauf und durch zwei Aufzüge vom Gipfel in das Berginnere geschleust werden. Vulkanologen, die Bürgerinitiative SOS Volcans, sozialistische und grüne Regionalpolitiker und das kollektive Bewusstsein („Einen heiligen Berg berührt man nicht“) verhinderten die Vulkanaushöhlung.

Heute entsteht „Vulcania, der Europäische Vulkanismuspark“, ein paar Steinwürfe nördlich auf einem 57 Hektar großen ehemaligen Militärgelände. Auch gegen den neuen Standort hatten Umweltschützer mobilisiert; sie sahen den Grundwasserpegel durch das unterirdische Museumsprojekt tangiert, befürchteten Touristen en masse und klotzige Hotelbauten im seit 1967 weithin geschützten Parc Naturel Régional de Volcans d’Auvergne, polemisierten gegen die Finanzierung des vermutlich 420 Millionen Franc teuren Unterfangens und stoppten zwischenzeitlich vor dem Verwaltungsgericht die bereits begonnenen Erdarbeiten.

„On va apprendre en s’amusant“ (man wird etwas lernen und sich dabei amüsieren) verspricht aber der Pressebeauftragte Olivier Breffier und betont den doppelten Charakter des Wissens- und Freizeitparks. „Wir wollen den Besuchern mit Spezialeffekten und technologischer Raffinesse wie 3-D-Projektionen, einer 415 Quadratmeter großen Riesenleinwand und Satellitenbildern den Vulkanismus im Universum wie auf dem Mars, in der weiten Welt und in der Auvergne näher bringen.“ Der Vulkan-Event als Touristenkitzel: das Grummeln eines Feuerbergs, Erdstöße, ein richtiger Vulkanausbruch, glühendes Magma, der gewisse Geruch von Schwefel, das alles soll bald sinnlich zu erleben sein. Drei Viertel der Anlage hat der österreichische Architekt Hans Hollein unter Tage verlegt, die Ausstellungsräume sind nicht einbetoniert, sondern aus den Basaltschichten der Erde herausgeschnitten worden.

Vulcania, so der Wille des Regionalrats, soll in Zukunft die ökonomische Lokomotive für die ganze Auvergne sein, die Regionalentwicklung qua Tourismus ankurbeln. Hochgerechnet 500.000 Besucher pro Jahr – geplante Eröffnung im Frühjahr 2001 – sollen nicht nur 80 Franc pro Person Eintritt in die Vulcania-Kassen spülen, sondern möglichst auch eine Nacht im bisherigen Transitland zubringen.

Die Initialidee zu dem Vulkan-Erlebnispark stammt von dem eingeborenen Auvergnaten Valéry Giscard d’Estaing. Schon im dritten Mandat ist der frühere französische Staatspräsident nun Präsident des Regionalrats. Der alternde Provinzfürst – „L’Auvergne, c’est moi“ – hat sich mit seinem grand projet regional über alle politischen Widerstände hinweg sein Denkmal gesetzt.

Infos:Französisches Fremdenverkehrsamt, Postfach 100128, 60001 Frankfurt am Main. Tel. (01 90) 57 00 25, Fax: (01 90) 59 90 61(jeweils 1,20 Mark pro Minute).Comité Regional du Tourismed’Auvergne, 43, avenue des Etats-Unis,F-63057 Clermont-Ferrand Cedex 1Tel. (00 33)-4 73-29 49 49Internet: www.crt-auvergne.frLiteratur: Gabriele Kalmbach, Hans E. Latzke: „Auvergne, Cevennen“.DuMont Reise-Taschenbuch, 19,80 DM

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