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Nur Chefs kriegen die doppelte Diät

Funktionszulagen für Abgeordnete aus der Staatskasse sind unzulässig – nur der Fraktionsvorsitzende darf mehr kriegen. Teilsieg vor dem Bundesverfassungsgericht für zwei ehemalige Abgeordnete des Neuen Forums hat Folgen für die Diäten

Aus FreiburgCHRISTIAN RATH

Alle Abgeordneten sind gleich, aber manche dürfen sich besser bezahlen lassen als die anderen. Gestern hat das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung zur Zulässigkeit so genannter Funktionszulagen aufgeweicht. Früher waren sie verboten, jetzt dürfen immerhin die Fraktionsvorsitzenden eine doppelte Diät einstreichen.

Die neue Linie wurde am Beispiel des Thüringer Abgeordnetengesetzes entwickelt. Im Erfurter Landtag erhält der einfache Abgeordnete derzeit brutto 7.850 Mark pro Monat, die drei Fraktionsvorsitzenden dagegen das Doppelte. Begünstigt sind auch die parlamentarischen Geschäftsführer, die 70 Prozent mehr bekommen, die Vizechefs der Fraktionen mit einem Plus von 40 Prozent und die Ausschussvorsitzenden mit einem Plus von 40 Prozent. Insgesamt haben 28 von 88 Thüringer Abgeordneten Anspruch auf eine Funktionszulage.

Gegen dieses Zulagengeflecht hatten schon 1991 die Abgeordneten Matthias Büchner und Siegfried Geißler (beide Neues Forum) geklagt. Beide gehören dem Landtag schon lange nicht mehr an, haben nun aber immerhin einen Teilerfolg erzielt. Nur die Sonderzahlung für Fraktionsvorsitzende kann „angesichts von deren politischer Bedeutung“ bestehen bleiben. Die anderen Funktionsträger müssen künftig auf das staatliche Extrasälar verzichten.

Das Bundesverfassungsgericht will damit vermeiden, dass es im Parlament zu „Einkommenshierarchien“ kommt. Abgeordnete sollen ihr Handeln nicht an ökonomischen Zielen wie etwa dem Erreichen einer höheren Einkommensstufe ausrichten. In einem Urteil von 1975 war das Gericht noch weiter gegangen. Damals hieß es: „Gestaffelte Diäten für Abgeordnete mit besonderen parlamentarischen Funktionen entfallen.“ Nur Parlamentsvorsitzende waren in jenem Urteil ausgenommen.

Der Thüringer Landtag hat diese Entscheidung allerdings offen missachtet, ebenso wie die Landtage in Hessen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Sie müssen nun auf jeden Fall ihre Gesetze ändern. Der Bundestag und die übrigen Landtage waren kreativer: Hier bekommen die Funktionsträger ihre Zulagen aus der Fraktionskasse. Nur die Grünen verzichten dort meist auf derartige Sonderzahlungen.

Vermutlich werden nun in Thüringen und anderen betroffenen Ländern die Fraktionsgelder erhöht, um künftig auch dort die Zulagen auf dem Schleichweg über die Fraktionskassen zu finanzieren. Umgekehrt kann man annehmen, dass die Fraktionschefs im Bundestag ihre Zulage wohl bald aus der Staatskasse erhalten – damit die Fraktionen das eingesparte Geld anderweitig verwenden können.

Die eigentlich spannende Frage ist deshalb, ob das Zulagenverbot auch für die Fraktionskassen gilt, die ja letztlich ebenfalls aus dem staatlichen Haushalt finanziert werden. Das Bundesverfassungsgericht äußerte sich in seinem 32-seitigen Urteil hierzu nicht. (Az.: 2 BvH 3/91)

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