Explodierende Gebäude in Grau

Bildung für traumatisierte Kinder und Jugendliche: Die bosnische Künstlerin Emina Kamber gründet die „Deutsch-Bosnische Kulturakademie Hamburg“  ■ Von Petra Schellen

Man kann allerlei Idealistisches reden über multikulturelles Zusammenleben und Hilfe, die man Menschen in fernen Ländern angedeihen lassen sollte. Doch wenn es ums Handeln geht, entsteht meist betretenes Schweigen. Emina Kamber schweigt nicht. Schon seit Jahren leistet die in Hamburg lebende bosnische Autorin und Malerin jede erdenkliche Hilfe für ihre Landsleute, beherbergte jahrelang Flüchtlinge und bringt regelmäßig Medikamente und Kleidung zu den Bosnien-Bussen am ZOB.

Aber das genügt ihr nicht: „Die Menschen dort – besonders die Jugendlichen – brauchen Bildung, damit sie ihr Land wieder aufbauen können“. Und deshalb hat sie vor zwei Monaten die „Deutsch-Bosnische Kulturakademie Hamburg“ gegründet, die ein Verein tragen soll und für die sie sich städtische Zuschüsse erhofft. Nun ist es nicht so, dass es in der zentralbosnischen Stadt Visoko, wo die bosnische Sektion der Kulturakademie entstehen soll, keine begabten Schüler gäbe. Aber „die Menschen sind durch die Kriegserlebnisse traumatisiert“, sagt Kamber. „Sie sind klaustrophobisch geworden; viele Kinder haben Eltern oder Geschwister verloren.“

Und hier möchte Emina Kamber ansetzen: „Diese Jugendlichen können die schulischen Leistungen oft deshalb nicht erbringen, weil sie sich von den Kriegseindrücken nicht befreien können.“ Deshalb will sie in Visoko ein Förderzentrum aufbauen, in dem sowohl versetzungsgefährdete als auch künstlerisch besonders begabte Jugendliche kostenlos in geisteswissenschaftlichen Schulfächern, aber auch in Literatur, Malerei und Tanz unterrichtet werden sollen. „Wir wollen die Jugendlichen auf die Aufnahmeprüfungen der Fachschulen vorzubereiten, um ihre Chancen auf qualifizierte Ausbildung zu verbessern.“

Einen Anfang hat Kamber bereits gemacht: Seit September vorigen Jahres fährt sie alle drei Monate für zwei Wochen nach Visoko, um Mal- und Textildesign-Kurse für Kinder und Jugendliche abzuhalten; das erste Trimester wird im September mit einem Zertifikat abschließen. Das nach weiteren drei Jahren ausgestellte Zeugnis wird den Absolventen den Zugang zur Textilfachschule in Sarajewo und Visoko ermöglichen; dies haben ihr die bosnischen Behörden zugesagt.

Und obwohl Emina Kamber erst drei Trimester lang unterrichtet hat, seien die Fortschritte der Schüler doch enorm: „Im ersten Kurs haben die Kinder explodierende Gebäude in grau und braun gemalt. Im zweiten Trimester fingen sie an, bunte Pflanzen zu malen, an die sie sich aus der Vorkriegszeit erinnerten. Diese Vorkriegszeiten erinnerten. Diese wieder erwachende Kreativität müsse man fördern – und deshalb soll auch dieses Projekt Teil der Arbeit der Kulturakademie sein. Daneben soll die Akademie in Visoko vor allem Sprachkurse anbieten – und hier möchte Emina Kamber auch an die im Exil erworbenen Deutschkenntnisse der Jugendlichen anknüpfen: „Natürlich hat das Exil unangenehme Erinnerungen hinterlassen. Die Sprachkenntnisse haben die Jugendlichen aber trotzdem mitgenommen – und warum sollen sie die nicht vertiefen, wo sich doch z. B. Mercedes Benz und andere westliche Firmen derzeit in Bosnien ansiedeln und Praktika anbieten, für die Deutschkenntnisse erforderlich sind?“ Sich in diesem Punkt an den Westen anzupassen, sei eine schlichte wirtschaftliche Notwendigkeit, sagt Kamber.

Welchen Themen soll sich aber der Hamburger Brückenkopf der Kulturstiftung widmen? „Wir möchten eine Begegnungsstätte für Exilautoren schaffen, die sich über ihre Erfahrungen austauschen können, um so eine gemeinsame Identität zu finden. Wir möchten, dass sich diese Autoren zu einer Gruppe zusammenfinden, die sich auch gegenüber Verlagen besser behaupten lernt“, erklärt Kamber.

Ein Netzwerk möchte sie also bilden; außerdem sollen Veranstaltungen stattfinden, die Zusammenhänge zwischen scheinbar verschiedenen Kulturen aufzeigen sollen. Warum z. B. soll man – anlässlich eines Flamenco-Abends – nicht mal über die Parallelen zwischen maurischen Rhythmen und orientalischen Elementen bosnischer Volksweisen reflektieren? „Denn letztlich“, sagt Emina Kamber, „haben wir alle einen gemeinsamen Ursprung.“