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Das Schreien der Hühner

■ Oder: Wie das Bremer Label Drone Records weltweit(e) seltsame Geräusche auf nicht minder seltsamen, äußerst liebevoll gestalteten Vinyl-Schallplatten zugänglich macht

Es gibt, und Label-Betreiber Stefan Knappe ist sich dessen durchaus bewusst, garantiert viele Menschen, die auf den Veröffentlichungen von Drone Records die Musik schlichtweg nicht entdecken können, weil das, was da auf den sämtlichst sieben Zoll großen Vinyl-Schallplatten zu hören ist, mit dem, was den ganzen Tag im Radio läuft, fast nichts zu tun hat. Manchmal gibt es nicht mal einen Rhythmus, manchmal, wie bei Francisco Lopez aus Spanien ist im Grunde - und in diesem Fall am Grunde - nur ein einziger Ton zu hören. Eine physische Erfahrung. „Diese Musik schärft das Bewusstsein für Geräusche und ermöglicht es, auch im Alltag anders zu hören“, meint Stefan Knappe alias Baraka(H).

Seit 1993 betreibt der 30-Jährige Drone Records. Der Name verweist schon darauf, was das Label im Programm hat: „dröhnende“ Klänge, manchmal durchaus mit quasi-dubbigen Beats, nicht selten aber eben auch völlig ohne Rückgriff auf Rhythmus oder Harmonie. Dass Baraka(H) diese Musik nicht gerade in großen Stückzahlen verkauft, ist eher Programm als Problem. Zwar trägt sich das Label finanziell, aber: „Ich will damit kein Geld verdienen. Es soll unkommerziell sein, als Gegenbeispiel zu normalen Marktmechanismen“.

Es wird deshalb auf Drone Records auch nie eine Platte erscheinen, weil sie sich verkauft wie geschnitten Brot. „Das sind Ideale, die aus der Cassetten-Szene kommen. Unkommerzialität, kleine Auflagen. Dass man tauscht und dass es ein internationales Netzwerk gibt.“

„Die Erstauflage sind immer 250 Exemplare, bei der Zweitauflage sind es 300. Mehr als zwei Auflagen hat es bis jetzt nicht gegeben.“ Zwei bis drei Mal im Jahr erscheinen zeitgleich drei Singles. „Ungefähr fünfzig davon gehen gleich an Abonnenten, hauptsächlich in Deutschand und den USA.“ Ansonsten ist auf einschlägige Mailorder-Firmen oder auf Drone Records selbst angewiesen, wer sich mit den liebevoll hergestellten Preziosen in farbigem Vinyl und eingepackt in Covers, die für die Erst-auflage von den KünstlerInnen selbst meist per Hand hergestellt werden.

46 Singles hat Baraka(H) mittlerweile veröffentlicht, die erste von ihnen enthält drei Stücke seiner eigenen Band Maeror Tri, mit der er - damals wohnte er noch in Leer - nicht nur die Friesen vor Verständnisprobleme stellte. „Es gab dort keine richtige Szene für solche Musik, höchstens eine Hand voll Leute, die solche Musik gehört haben. Wenn wir aufgetreten sind, dachten die Leute, wir hätten total das Rad ab“, erinnert er sich amüsiert.

Was die Leute wohl erst in Polen, Portugal, Ungarn oder Argentinien dazu sagen? Es ist unbedingt erstaunlich, in welchen Gegenden der Welt Baraka(H) die Bands findet, die auf seinen Platten zu hören sind. „Das finde ich auch ziemlich abgefahren“, stimmt er zu. „Die Reynols aus Argentinien haben mich zum Beispiel eines Tages angemailt und gesagt: Wir haben eine klasse Idee, wir können hier 10.000 Hühner aufnehmen. Das fand ich ziemlich abgefahren.“ Das Ergebnis ist auf DR-42 unter dem Titel „10.000 Chicken's Symphony“ zu hören.

„In letzter Zeit passiert auch in Russland, besonders in Moskau ziemlich viel. Vor allem über das Internet werden solche Kontakte möglich. Die Reynols machen in Argentinien übrigens gerade Furore. Der Sänger hat das Downsyndrom, und die Band erscheint öfter in der größten Zeitung in Buenos Aires, und sie machen auch eine USA-Tour. Aber das ist eine absolute Ausnahme. So was habe ich sonst noch nicht erlebt.“

Von solchen Ausnahmen abgesehen wird die „non-entertaining-music“ (Baraka(H)), die auf Drone erscheint, in recht spezialisierten Kreisen produziert und rezipiert. „Das ist eine Underground-Kunst, eine 'Arte povera' - also 'Kunst der Armen oder der Unbefugten'. Auch Leute, die nicht ausgebildet sind, können so etwas machen. Dabei unterscheiden sich die Ergebnisse teils gar nicht so großartig von Neuer Musik. Aber Menschen mit akademischem Zugang zu Musik würden sich nie meine Platten anhören, da müssten sie ja von ihrem Sockel steigen.“

Ein Professor an der Bremer Uni hat einmal gesagt, dass es in Deutschland immer mehr Leute geben wird, die Lyrik schreiben, als welche, die sie lesen. Ist das mit dieser Art von Musik so ähnlich? „Es ist schon so, dass Leute, die diese speziellen Sachen hören, oft entweder selbst Musik machen oder ein Fanzine veröffentlichen“, meint Baraka(H). Klar: Wer sich für solche Musik interessiert, tut das eben nicht mal so nebenbei. Sie läuft nicht im Radio und steht nicht bei Saturn Hansa im Regal. Es gehört als Voraussetzung zur Beschäftigung mit ihr eine ausgeprägte Entdeckerlaune und der Zugang zu Insider-Informationen. Deshalb hat Baraka(H) auch zu vielen Musikern und Käufern seiner Platten persönlichen Kontakt.

Das Befriedigende daran hat er einmal woanders formuliert: „Wenn ich davon ausgehe, dass der Sinn des Lebens ist, 'Brüder' zu finden, dann ist solche Tätigkeit im unkommerziellen Musiksektor genaue Umsetzung dieses Lebenssinns. Dahinter verblassen alle anderen Philosophien und Ideen...“

Vielleicht findet Ihr da draußen ja in dieser kleinen Welt etwas Ähnliches? Andreas Schnell

E-mail: dronetroum@aol.com ; Internet: www.dronerecords.de

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