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Die neue Karriere der Elite

Noch nie hatte Abba so Recht wie heute: The winner takes it all! Ungleichheit wird inzwischen als gerecht betrachtet. Dabei verdienen gerade die Verlierer Respekt

Das Plakat hing überall in Berlin: „Werde Teil der Elite (wenn Du kannst).“ Wer die Werbefläche genauer absuchte, stellte irgendwann fest, dass diesmal nicht viel dazu gehörte, um dazu zu gehören. Man musste sich nur für Nike-Produkte interessieren.

Neckisch, lockend, herausfordernd wurde da jedoch ein Trend auf den Satz gebracht: Der Begriff Elite hat Karriere gemacht. Lange ein Unwort, ist das Wort jetzt ein modisches Bekenntnis. Wer von Eliten spricht, findet es schick, dass die Gesellschaft in Hierarchien zerfällt. Dass oben gegen unten steht, dass Reichtum, Macht und Status ungleich verteilt sind. Schließlich sind die neuen Eliten ja nicht irgendwelche Grüppchen – sondern „Leistungseliten“. Und Leistung soll belohnt werden.

Längst ist es nicht mehr anrüchig, sondern ehrenvoll, wenn die ZEIT-Stiftung eine elitäre Privatuniversität gründet – die „Bucerius Law School“ in Hamburg. Ab Oktober werden dort jährlich die hundert „besten Kandidaten“ studieren. Die Kriterien der Auswahl erläuterte ein Vorstandsmitglied der Stiftung, der Bonner Juraprofessor Karsten Schmidt, kürzlich in der ZEIT: Gesucht werden Studenten, „die die Ärmel hochkrempeln“. Aber natürlich keine „puritanischen Leistungsfetischisten“. Der „Idealstudent“ paukt zwar, doch „nicht nur, sondern spielt abends noch Streichquartett, treibt Sport oder engagiert sich in einer Partei oder Organisation“. Dafür hat er dann die „Garantie, dass er innerhalb der Regelstudienzeit zum Examen kommt“ – und dass sich die Studiengebühren von insgesamt 45.000 Mark bestimmt schnell amortisieren, wenn er als Wirtschaftsanwalt in eine internationale Kanzlei eintritt.

Die staatliche Konkurrenz nebenan, die überlastete juristische Fakultät der Universität Hamburg, ist wenig begeistert. Viele Studenten, geringe Mittel – der Dekan, Fritz Haag, vermisst die Fairness des Wettbewerbs. Aber an der elitären Idee zweifelt er ebenso wenig. Ganz wichtig ist es ihm, festzustellen: „Auch die staatlichen Universitäten bilden eine juristische Elite aus.“ Begründung: „In den ersten Semestern geben 25 Prozent auf. Es findet auch bei uns eine Auswahl statt, eine Selbstselektion.“ Da sind die Worte, die so untrennbar zum Begriff der Elite gehören: Auswahl und Selektion. Lange waren sie verpönt.

Die Konjunktur des Elitären ist nur sichtbarstes Symbol für eine Umwertung der Werte. Eine alte Gleichung hat sich in ihr Gegenteil verkehrt. Galt früher „ungleich“ als das Synonym für „ungerecht“, so ist es jetzt anders herum: Ungleichheit wird als gerecht betrachtet. Selbst die SPD glaubt dies inzwischen, die sich auf einen „dritten Weg“ gemacht hat. Ende April wurde daher auf einem Programmkongress die sozialdemokratische „Gerechtigkeit im 21. Jahrundert“ neu definiert. Am deutlichsten sagte es Wolfgang Clement, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen; er wünscht sich eine „vertretbare Ungleichheit“. Der Einzelne müsse mehr Eigenverantwortung tragen, der Sozialstaat zurückgefahren werden. Übersetzt: Fair soll die Konkurrenz schon sein, aber ansonsten ist jeder selbst schuld, wenn er nicht als Manager Millionen verdient. Ist eben verdientes Pech, wenn man nicht zu den „Spitzenbegabungen“ gehört, die Clement so nachdrücklich fördern will. „Leistung soll sich wieder lohnen.“ Die CDU wies die SPD hämisch darauf hin, dass sie diese Losung schon in den Siebzigern vertreten hat.

Die Elite ist zum Fetisch der Politik geworden. Leider. Trotzdem gilt umgekehrt noch lange nicht, dass es eine Elite am besten gar nicht gäbe. Das Ärgerliche für alle Selektionsgegner ist, dass Auswahl als Prinzip nicht zu vermeiden ist. Führungspositionen sind in jeder Gruppe knapp. Um es zu pointieren: Es kann nur ein Deutscher pro Legislaturperiode den Bundeskanzler geben. Gleichzeitig besteht der begründete Verdacht, dass Gerhard Schröder nicht der einzige befähigte Bewerber war. Zum Glück. Demokratie wie soziale Marktwirtschaft leben von der Konkurrenz, von der Auswahl nach Leistung und Kompetenz. Ob es um Bundestagsmandate, Managerposten oder Professorentitel geht.

Was jedoch in der öffentlichen Debatte gern übersehen wird: Eine Elite kann es nur geben, wenn auch eine Nichtelite existiert. Wenn es Auswahl geben soll, dann gehört zu jedem Gewinner notwendig mindestens ein Verlierer. Selbst ein minimaler Leistungsunterschied reicht aus, um eine maximale Niederlage einzufahren: „The winner takes all.“ Das Prinzip der Konkurrenz ist grausam. Das müsste eigentlich bedauert werden – als ein notwendiges Übel, das es sozial und materiell abzufedern gilt.

Doch das Gegenteil passiert. Es wird noch nachgetreten. Auffallend ist die subtile Häme, die neuerdings all jene trifft, die den elitären Wettbewerb verlieren. So ist für Professor Schmidt von der ZEIT-Stiftung klar, dass sich an den staatlichen Universitäten vor allem die „Leistungsunwilligen“ tummeln, die „fortwährend jammern, weil sie überfordert sind“. Faul sind sie zudem, denn Vor- und Nachbereitung sei bei vielen Studenten „stark aus der Mode“ gekommen.

Aber obwohl die Elite neuerdings so selbstzufrieden auftritt – tatsächlich ist sie panisch. Denn die Grausamkeit der Konkurrenz beschränkt sich nicht auf die Verlierer, auch die Gewinner fühlen sich gefährdet, jederzeit ist ein Abrutschen ins Versagen möglich. Da hilft nur die pausenlose Anstrengung der 60-Stunden-Woche, die heutzutage in keiner elitären Selbstbeschreibung fehlt. Ein Paradox: Gerade die Elite wird von der proletarischen Stechuhr eingeholt. Die Bucerius Law School ist typisch. Kreativität erwähnte Vorstand Karsten Schmidt nie, dafür die Synonyme für schlichten Fleiß wie „pauken“, „vorbereiten“, „Lernpensum“. Eine weitere typische Erstaunlichkeit: Das juristische Training ist nicht die eigentliche Offerte; die Inhalte scheinen beliebig, solange sie nur international marktgängig sind. Tatsächlich geht es nackt um Sicherheit – um die erwähnte „Garantie“, schnell das Examen zu bestehen und einen gut dotierten Job zu ergattern. Die neue Elite wirkt sehr ängstlich.

Geradezu freudig erwartet sie daher die permanenten „Leistungsnachweise“, die bei Bucerius alle wichtigen Seminare und Vorlesungen säumen. Das klingt nicht nur zufällig nach Zucht und Ordnung: Zucht ist immer das Ergebnis der gesteuerten „Selektion“ – zumindest in der Biologie. Die neue Begeisterung fürs Selektieren verstärkt den Verdacht, dass sich die soziale Zucht sofort in eine genetische wandelt, falls die Keimbahn je beherrschbar sein sollte.

Aber vielleicht setzt sich ja noch rechtzeitig die Erkenntnis durch, dass selbst die Optimierung von Selektion und Zucht nichts ändert. Am Ende wird es Gewinner und Verlierer geben. Menschlich und fehlerfreundlich lebt es sich für Eliten wie Nichteliten nur, wenn auch die Verlierer Solidarität und Respekt genießen – und teilhaben können an Reichtum und Status. Vielleicht sieht zumindest die SPD rechtzeitig ein, dass die alte Gleichung richtig war – dass Ungleichheit ungerecht ist.

ULRIKE HERRMANN

Hinweise:Obwohl die Elite neuerdings so selbstzufrieden auftritt, ist sie in Wirklichkeit panischFrüher galt „ungleich“ als Synonym für„ungerecht“. Daran glaubt nicht mal mehr die SPD.

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