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Liebes-Start-up in der WG

Acht Berliner Internet-Firmen spendieren ihren Praktikanten eine gemeinsame Wohnung.Die Bewohner streiten über Abwasch und Einkauf, eines aber ist klar: Sie wollen nach oben

von RICHARD ROTHER

„Wegeh, kenn’ ick nich’.“ Die Rentnerin schüttelt den Kopf und zieht schnell die schwere Tür hinter sich zu. Die WG ist dennoch leicht zu finden – in der Karl-Marx-Allee 114 gibt es nur ein Klingelschild, auf dem mehrere Namen stehen. „Hi, bis gleich.“ Die Stimme der jungen Frau aus der Wechselsprechanlage, aufgeweckt wie die einer Moderatorin im Privatradio, lässt keinen Zweifel: Hier muss sie sein, die erste Internet-Start-up-Wohngemeinschaft der Hauptstadt. In einem der frisch sanierten Häuser der ehemaligen Stalinallee, der Prachtstraße der ehemaligen DDR.

Trotz frischer Farbe und neuem Putz – die Geschichte atmet aus jeder Pore des Gemäuers, im Hauseingang steht sie an der Wand: „Dieser Block E-Süd wurde 1951–52 im Nationalen Aufbau von Lehrlingen errichtet.“ Sechs Stockwerke darüber leben heute die Lehrlinge der New Economy in einer WG. Eine ganz besondere Wohngemeinschaft: Zwei Monate lang dürfen die Praktikanten umsonst in der Karl-Marx-Allee wohnen. Mitten im Vorzeigebau der Arbeiterklasse gibt es für den Nachwuchs der neuen Mitte eine Putzkraft gratis dazu – und wer will, kann seinen jungen Körper umsonst in einem Fitnessstudio stählen. Fit for work.

Den PraktikantInnen macht das WG-Leben Spaß – es dauert nur zwei Monate. Die Event-Agentur Friends & Sons hatte im Auftrag von acht Berliner Internet-Firmen die Praktikanten-Jobs plus WG-Platz ausgeschrieben. Mehr als hundert junge Leute haben sich bundesweit beworben. Die schnell wachsende Internet-Szene der Hauptstadt genießt einen guten Ruf. Acht Frauen und Männer, die studieren oder Abitur machen, wurden schließlich genommen.

Die Agentur hat sie auf eine Vierer- und zwei Zweier-WGs verteilt. Die Auserwählten mussten sich rasch entscheiden: Eine Woche nach der Zusage stand der Einzug an. Die erste Lektion war also schnell gelernt: Wer in der Start-up-Szene Karriere machen will, muss schnell und flexibel sein.

Die zweite Lektion: Neben der mietfreien Parkettwohnung lockten 500 bis 3.000 Mark Praktikantengehalt. Realität ist nun der untere Wert – auch in der virtuellen Welt ist nicht alles Cash, was blinkt. Monika Offermann, die in der Marketingabteilung von yellout.de hospitiert, fühlt sich über den Tisch gezogen: „Wir machen so viel PR für unsere Firmen“, sagt die 27-jährige.

Auch wenn es den Anschein hat – die Start-up-WG ist keine Benefizveranstaltung, bei der ein paar Teens und Twens umsonst einen Selbsterfahrungskurs machen können. Die WG ist auch knallhartes Marketing, für die beteiligten Firmen und vor allem für die Karl-Marx-Allee. Die einstige Prachtstraße kämpft mit 20 Prozent Leerstand bei den Läden.

„Big Brother“ light

Deshalb haben die Investoren eine Agentur engagiert, die sich ein Kultur-Event ausgedacht hat: marx.attrax. Bekannte DJs legten Anfang des Monats unter anderem in leer stehenden Läden auf. Das ist jetzt vorbei, die WG ist geblieben. Und der rennen die Medien die Tür ein. An diesem Morgen war ein Radiosender da, hat live vom Frühstück berichtet. Abends ist davon wenig zu spüren. Die Bewohner haben sich an den Rummel gewöhnt – in der Küche läuft seit einer Woche sogar eine Kamera mit. Alle drei Minuten macht die Web-Cam klick, und die Besucher von meinberlin.de können die neueste Küchenszene der WG betrachten. „Big Brother“ light.

Leoni Faber ist das egal. Die 25-Jährige steht am Gasherd, rührt mit einem Löffel in einer Pfanne mit roter Soße. Nebenbei erzählt sie, dass sie jetzt in den „Content-Bereich“ bei yoolia.de wechselt. Bald könne sie eventuell eine Seite auf der Internet-Plattform betreuen: Lifestyle oder Weiterbildung. „Ist doch beides interessant.“ Ein kurzer Augenaufschlag, dann schaut die Rheinländerin wieder in die Pfanne.

Die anderen gehen der Frau mit den Sommersprossen zur Hand. Einer öffnet Konserven, ein anderer reicht Streichhölzer. Jeder tut irgendwas oder auch nicht. Gemeinschaftsgefühl Kommune. Auch das Essen ist an diesem Abend WG-typisch: Reis mit Scheiß. Das einzig Frische im Topf sind Zwiebeln, deren Geruch durch die Wohnung zieht. Streit bleibt nicht aus: Einer will scharfes, ein anderer nur halb scharfes Chili in der Tomatensoße.

Die Gemeinschaft der künftigen Internet-Elite ist nur auf den Blick harmonisch. Die einen waschen nie ab, die anderen kaufen nie ein – und umgekehrt. Die penibel gesammelten Kassenbons der Einzelnen harren nach einem Monat noch immer der Verrechnung. Manche bunkern ihre Lieblingsspeisen unter dem Kopfkissen. Ein Leben mit Einkaufs- oder anderen Plänen – sonst Standard in WGs, in denen es ohne nicht klappt – ist tabu. Keine Pflichten! Die Start-up-Praktikanten sind frei. Wie Surfer im Netz.

Monika Offermann ist für gewisse Einschränkungen. Die 27-jährige Diplomandin, die mehrere Jahre lang eine Baumarkt-Filiale mitgeleitet hat, will nicht, dass Alkohol auf die Gemeinschaftskasse geht. Das hat ihr bei den Jungs den Spitznamen „der General“ eingebracht.

Sie reden, wie sie chatten

Die Vierer-WG im sechsten Stock ist das Zentrum der Praktikanten-Community. Allabendlich, nach bis zu zwölf Stunden Arbeit, versammeln sie sich im Flur – der ist Gemeinschaftsraum, Ess- und Durchgangszimmer in einem. An die Wand hat jemand eine Liste mit den In-Schimpfwörtern gepinnt: Warmduscher, Vorwärtseinparker, Festnetztelefonierer. Daneben hängt ein Stadtplan, auf dem die Bewohner mit Reißzwecken die Standorte ihrer Firmen markiert haben. Die Firmen mögen überall im Netz agieren – der eigentliche Standort ist immer im Kopf. Die Praktikanten reden oft von „wir“ – sie meinen nicht ihre WG oder Freunde, sondern die Firma, in der sie zwei Monate arbeiten. Und sie reden, wie sie chatten: Small Talk. Oder sie reden von der Arbeit, von Investoren, Venture Capital und Business-Plänen. Über Politik jedenfalls haben sie noch nie gesprochen.

Trotz manchen Streits im Alltag – das WG-Leben führt zusammen. Zum Beispiel Anne und Arne. Eine Woche hat es gedauert, dann hatte es zwischen den beiden gefunkt. Drei Wochen hat sich das Liebes-Start-up versteckt - „wegen dem General“. Dann hat sich neue das Ost-West-Pärchen geoutet. Die 19-jährige Anne-Kathrin Dittmann kommt aus einem Ostberliner Vorort, der 26-jährige Arne Striegler studiert in Erlangen Elektrotechnik. Für das hübsche Pärchen ist das „np“ – no problem, wie es in der Chat-Sprache heißt. Anne lacht, in der Zunge blitzt ein Piercing. Very stylish ist auch ihr Liebster: Carhartt-Hose und -Sweatshirt.

Der junge Mann mit den blonden Haaren ist nicht nur Praktikant und Student, er ist auch Unternehmer. Seine Firma vertreibt Mini-Disc-Geräte im Internet. Striegler ist ein Unternehmer, der weiß, was er tun muss: PR. „Du musst mich unbedingt erwähnen“, sagt er im Viertelstundentakt.

Auch der 20-jährige Paul Jahr ist schon im Geschäft. In seinem Zimmer hat Jahr, von den anderen „der Inder“ genannt, den Computer direkt neben das Bett gestellt. Nach der Arbeit sitzt er Hardcore hörend am Bildschirm und entwirft Internet-Seiten für Firmen. Ein komplett virtuelles Geschäft: Die Aufträge bekommt der blasse Junge direkt im Netz von einer Web-Firma, die sich auf Akquise und Vertrieb von Internet-Auftritten spezialisiert hat.

In der WG wollen alle ins virtuelle Business, so schnell wie möglich. Monika hat eine Postkarte an ihre Tür gehängt. Auf dem Bild beten drei Nonnen gen Himmel. Der Slogan darunter ist nicht nur die Werbung ihrer Firma – er ist das Motto der Netscape-Generation: „Willst du wirklich bis zum Tod warten, um nach oben zu kommen?“

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