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Wer will hier zu Gast sein?

Wozu ein Minarett, wenn von dort die Aldi-Preise ausgerufen werden, findet Bürgermeister Karl Gustav Tewes

aus Uetersen HEIKE HAARHOFF

Es ist in Uetersen wahrlich kein Wetter, sich unter freiem Himmel zu unterhalten, aber drinnen im Haus geht es noch schlechter. Im Flur stapeln sich bereits 30 Paar Kinderschuhe, deren Besitzer auf Strümpfen und kreischend durchs Erdgeschoss toben. Die Gemeinderäume im ersten Stock belagern Jugendliche, im Gebetszimmer im hinteren Teil des Hauses bereiten sich die Alten aufs Mittagsgebet vor, und Necmi Acikgöz steht draußen im Regen und fährt mit der Hand durch die Luft, als hätte er gerade lieber seine Ruhe. Oder wenigstens ein freies Büro.

Geschmolzener Fensterrahmen

Aber es geht ja nicht. Das Gemeindeleben in der Moschee geht weiter, trotz nächtlichem Molotowcocktail und geschmolzenem Fensterrahmen, und Necmi Acikgöz, der Hausherr, der Imam, der religiöse Würdenträger der türkisch-islamischen Union in Uetersen, würde die Bemühung um Normalität drinnen stören, ließe er auch noch jeden fremden Besucher ins Haus: den Bürgermeister, den Vorsitzenden der türkischen Gemeinde von Uetersen, den türkischen Konsul aus Hamburg, das Fernsehen, die Presse. Sie alle haben ihre Empörung und ihr Mitgefühl kundgetan vor dem zweistöckigen Backsteinbau in der Katharinenstraße, seit dort am vergangenen Samstag nachts um zwei eine mit Benzin gefüllte Flasche an der Fensterbank im Erdgeschoss zerschellte.

Für eine spontane Menschenkette, für Mahnwachen wie in Erfurt, wo im April ein Molotowcocktail gegen die Synagoge flog, reichte die Empörung in Uetersen nicht. Der Bürgermeister sagt: „Glücklicherweise ist ja nur Sachschaden entstanden.“ Das war in Erfurt auch der Fall. Aber eine Moschee ist schließlich keine Synagoge.

„Wir hoffen von ganzem Herzen, dass der Täter gefasst wird“, sagt Necmi Acikgöz, „egal, aus welchem Spektrum er kommt.“ Die Diplomatensprache, die sich für einen Beamten wie ihn geziemt, beherrscht er perfekt. Die Gedanken, die einen Mann beherrschen, dessen Haus um ein paar Zentimeter Zielgenauigkeit in Flammen aufgegangen wäre, lassen sich in dieser Sprache schwerlich ausdrücken.

Ja, sagt der Imam schließlich, er habe die Fernsehberichte gesehen, von Mölln, von Solingen, von Rostock-Lichtenhagen: angezündete Häuser, Ausländerhass und Angst, dass es wieder passiert, anderswo. „Sehr genau“ habe er sich überlegt, ob er dieses Risiko eingehen wolle, damals, vor einem Jahr, als die Koranlehrerstelle im schleswig-holsteinischen Uetersen turnusgemäß frei und er gefragt wurde, ob er seinen Wohnsitz für vier Jahre aus Karabük bei Istanbul in eine norddeutsche Kleinstadt mit 18.500 Einwohnern verlegen wolle. „Ich war dann sehr positiv überrascht, wie friedlich es hier ist.“

So friedlich, dass der Bürgermeister sich schon fragt, weshalb die Türken an Feiertagen ihre Autos ausgerechnet mit türkischen Fahnen schmücken müssen: „Die sind zu Gast hier.“

Zu Gast. Und nicht einmal das sollen sie offensichtlich nach Ansicht von Unbekannten, gegen die das Landeskriminalamt nun „in alle Richtungen“ ermittelt, bleiben. Auf dem Weg zum Morgengebet am Samstag um 4.30 Uhr stellte Imam Necmi Acikgöz fest, dass der Frieden gebrochen war. Und das wohl kaum aus Zufall oder Versehen. Denn dass es sich bei dem ehemaligen Wohngebäude seit 1987 um ein türkisches Gotteshaus handelt, steht in großen Lettern an der Fassade: „Yesil Camii, grüne Moschee“. Dass der Imam, seine Frau und zwei Söhne im hinteren Teil des oberen Stockwerks ihre Schlafzimmer haben, ist stadtbekannt. Dass ein Feuer schwer zu löschen ist, wenn es sich, von den Schlafenden unbemerkt, vom Erdgeschoss erst einmal nach oben ausgebreitet hat, kann man sich ausrechnen. Man muss es aber nicht. Öffentlich schon gar nicht. Man kann auch einfach dazu schweigen. Wie in Uetersen.

„Nein“, sagt Necmi Acikgöz da bestimmt, „ich mag nicht spekulieren, wer es war und ob politische Motive dahinter stecken.“ Und schon gar nicht lasse er sich einschüchtern „von ein paar Idioten, die unsere gute Freundschaft zwischen Deutschen und Türken stören wollen“.

Sich möglichst in Ruhe lassen

Unsere gute Freundschaft. Sie wird dieser Tage viel beschworen in Uetersen. Vom Bürgermeister. Von der Polizei. Selbst von Passanten, die nur nach dem Weg zur Moschee gefragt wurden. Als gelte es, Zweifel an dem guten Miteinander zu verscheuchen.

Aber vermutlich ist jenes wirklich gut, wenn man Freundschaft so definiert, dass sich gegenseitige Erwartungen darauf reduzieren, dass man sich möglichst in Ruhe lässt. Dass es schon viel wert ist, wenn man nicht ständig die Polizei rufen muss. Wegen Schlägereien. Wegen Hetzjagd auf Ausländer. Wegen Mord. Wegen Gewalttätigkeiten also, die über das alltägliche Maß an Feindseligkeit hinausgehen. Denn das regt schon lange nicht mehr auf.

„Es gibt keine Probleme zwischen Deutschen und Ausländern“, beteuert der 24-jährige Haluk Erker, der immer hilft, wenn es in der Moschee etwas zu reparieren gibt, auch jetzt, da Fenster und Türen besser gesichert werden sollen. „Und wenn es doch Probleme gibt, dann geht man ihnen eben aus dem Weg.“ Dann geht man eben wie Haluk Erker nicht in die Bars, in denen schon mal Glatzen aus dem schleswig-holsteinischen Umland einen auf Führers Geburtstag heben. Dann schafft man sich eben wie Muhsin C. eine lange Leiter und einen Feuerlöscher an, anstatt wegen der Drohbriefe Anzeige bei der Polizei zu erstatten.

„Was hätte ich denn machen sollen“, fragt Muhsin C. Der junge Mann im Blaumann wohnt über dem türkischen Kulturverein am Großen Sand, wie die Straße hier heißt. Vor etwa fünf Jahren sei es losgegangen mit den anonymen Wurfsendungen. Von „Haus niederbrennen“ und „Ausländer raus“ sei da die Rede gewesen auf den Zetteln, die in seinem Briefkasten landeten. „Vielleicht hätte ich sie ernster nehmen sollen“, sagt er, „aber es ist ja nichts passiert.“

Jedenfalls nicht bei ihm zu Hause, und auch nicht in dem Kulturverein, in dem er gewöhnlich unter Männern Tee trinkt, raucht und fernsieht. Der Brandsatz, der Mitte der Neunzigerjahre flog, landete vor einem anderen türkischen Café nahe einem türkischen Gemüseladen. Dieser Vorfall sei aber höchstwahrscheinlich auf einen Streit zwischen Türken zurückzuführen, heißt es beschwichtigend bei der Polizei.

Eine rechtsextreme Szene in Uetersen? Nein, nichts, Fehlanzeige, eher im zehn Kilometer entfernten Elmshorn, da seien „die Burschen aktiv“. Aber weniger gegen Ausländer als gegen Gewerkschafter, die sich im landesweiten „Bündnis gegen Rechts“ engagieren und deswegen schon mal von Plakaten an Autobahnbrücken erfahren, dass auf sie Kopfgeld ausgesetzt ist.

In Uetersen ging es bislang vergleichsweise unspektakulär zu; das Hakenkreuz an der Kirche aus dem vorigen Jahr, erzählt die Frau des Bürgermeisters, das sei längst beseitigt. Der türkische Imbissbudenbesitzer berichtet, lange her sei auch, dass Glatzen mit heruntergekurbelten Fensterscheiben und Waffen in der Hand johlend und betrunken über den Großen Sand heizten. Und dass „unsere Frauen immer mal blöd auf der Straße angemacht werden“, sagt der Verkäufer im türkischen Gemüseladen, „na ja, es gibt Leute, die nicht bei Sinnen sind, aber sie sind nicht in der Mehrheit.“ Und deswegen dürfe man „das alles nicht zu hoch hängen“.

In der örtlichen Zeitung ist der Artikel über den zentralen Übungsplatz der Kreisfeuerwehr eine halbe Woche nach dem Anschlag größer und prominenter platziert als die Ermittlungen in Sachen Moschee. Was soll man auch berichten? Demonstrationen, Mahnwachen oder eine außerordentliche Ratssitzung inmitten der kommunalparlamentarischen Sommerpause? Hat es ja nicht gegeben in Uetersen.

„Eine solche Aufmerksamkeit werden wir diesen Dumpfbacken auch nicht zuteil werden lassen“, schimpft Karl Gustav Tewes, der Bürgermeister, daheim am Wohnzimmertisch. „So eine intakte Gemeinde“, ruft er dann, „diese Türken sind eine Stabilisierung für unsere Stadt, sie kümmern sich um ihre Kinder“, er holt Luft, „es können nur Idioten sein, die diese Menschen angreifen, unser gegenseitiger Kontakt jedenfalls ist prima.“ Zum Abschluss des Ramadan feiere er bei den Türken mit, und selbstverständlich habe er Vertreter der türkischen Gemeinde unlängst zu seinem 60. Geburtstag eingeladen. Keine offizielle Einladung, sondern eine rein private, stellt seine Frau klar. Karl Gustav Tewes sieht sie strafend an.

Nur am vergangenen Wochenende, da habe er erst am Sonntag von den Medien von dem Anschlag erfahren. „Dabei wohnen wir an der Grenze zum Kopftuchviertel“, sagt seine Frau. Diesmal wird er wütend: „Also, das ist jetzt Kneipenjargon. Die Ausländer stören uns doch wirklich nicht.“ So unauffällig, wie sie sind. So zurückgezogen, wie sie leben. So überschaubar, wie ihr Bevölkerungsanteil mit acht Prozent in Uetersen ist. Da kann man sie fast lieb gewinnen. „Ich sage immer, Integration, das gilt ja für beide Seiten.“

Nicht einmal ein Minarett gefordert

Nicht einmal ein Minarett habe der Imam gefordert, stellt der Bürgermeister anerkennend fest. Nicht, dass das baurechtlich genehmigt worden wäre. Aber manche probierten es ja trotzdem, „damit der Muezzin dann für die vielen, die nicht lesen können, die Aldi-Preise ausrufen kann“. Karl Gustav Tewes lacht schallend. Nein, sagt er dann, von diskriminierender Stimmung könne in Uetersen keine Rede sein. Und überhaupt, noch etwas: Wer habe denn gesagt, dass die beiden dunkel gekleideten Gestalten auf dem Motorroller, die eine Zeugin in der Tatnacht an der Moschee gesehen haben will, aus Uetersen stammten? Na bitte.

Wie auch immer der Fall ausgehe, sagt der Bürgermeister: An den bestehenden deutsch-türkischen Verhältnissen werde er in Uetersen nicht rühren.

Das könnte er leider ernst meinen.

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