: Scheine sind null und nichtig
Ab heute müssen Sozialhilfeempfänger 50 Mark Kindergartengebühren zahlen. Auf Antrag gibt es Ermäßigungen auf 30 Mark ■ Von Kaija Kutter
Am heutigen 1. August tritt das neue Elternbeitragsgesetz für Halbtagskindergärten in Kraft, das unter anderem eine Abschaffung der Nullscheine für Sozialhilfeempfänger vorsieht. War es bisher gängige Praxis, dass die Eltern der betroffenen rund 2500 Kinder nichts für eine vierstündige Kita-Betreuung zahlen müssen, so sind ab sofort alle angehalten, den Mindestbeitrag von 50 Mark zu zahlen.
Heftige Proteste gegen diese Neuregelung hatten das Amt für Jugend bewogen, im Vorwege eine kleine Abstufung einzuführen. Vergangene Woche erging von der Hamburger Straße aus eine „Empfehlung“ an die Bezirke, die besagt, dass Familien mit geringem Einkommen und Sozialhilfeempfänger „auf Antrag“ eine Ermäßigung auf 30 Mark Monatsbeitrag bekommen.
Parallel dazu gibt es nach Auskunft von Behördensprecherin Frauke Scheunemann eine Dienstanweisung, die Sachbearbeiter dazu anhält, keinen Beitrag zu erheben, wenn abzusehen ist, dass die Eltern ihre Kinder sonst nicht in den Kindergarten schicken, beispielsweise, „weil sie das Geld lieber in Alkohol investieren“. Eine Ausnahme, die laut Jugendamts-Abteilungsleiter Jürgen Näther nur getroffen werden darf, wenn neben den finanziellen auch „sozialpädagogische Gründe“ dafür sprechen. Hatten bisher 15 Prozent einen Nullschein bekommen, so sollen es künftig, so Näther, nicht mehr als zwei Prozent sein.
Von den Jugendpolitikern der SPD-Fraktion, die sich Anfang Juni für einen Erhalt der Nullscheine eingesetzt hatten, war gestern keine Stellungnahme zu bekommen. Sie weilen komplett im Urlaub. Der Elternverein „Familien Power“, der die Abschaffung der Nullscheine als erste Organisation Mitte Mai heftig kritisierte, sieht in der jetzt getroffenen Regelung eine „Fortsetzung des Skandals“. Gerade bei kleinen Einkommen müssten Belastungen wie Miete berücksichtigt werden, sagt der Vereinsvorsitzende Matthias Taube. Rechne man, was den Familien nach Abzug auch des ermäßigten Beitrags von 30 Mark übrig bleibe, so bedeute dies eine Kürzung des Lebensunterhalts von bis zu neun Prozent.
Taube hält die Neuregelung, die voraussetzt, dass Eltern in der Lage sind, einen Antrag zu stellen, für die „Bürokratisierung eines Vorgangs, die so nicht sein muss“. Doch ein Antrag der Regenbogengruppe, es bei der alten Regelung zu belassen und Sozialhilfeempfänger generell von den Kosten zu befreien, war am 28. Juni von der Bürgerschaft abgelehnt worden. „Familien Power“ lehnt das gesamte neue Elternbeitragsgesetz ab, da es nicht nur für die „Ärmsten der Armen“, sondern auch für normalverdienende Familien Nachteile bringt. Konnten sie bisher selbst einschätzen, was sie zahlen müssen, werden sie ab sofort „berechnet“.
Dabei geht die Stadt nach scharfen Kriterien vor. Staatliche Zulagen wie Baukindergeld und erhaltene Unterhaltsleistungen müssen mit angegeben werden. Zu zahlende Unterhaltsleistungen hingegen werden nur im Fall einer gesonderten Härtefallprüfung berücksichtigt. Ungereimtheiten, die laut Taube einer politischen, wenn nicht gar juristischen Überprüfung bedürfen.
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