Bioenergetik im Trockendock

■ Top oder Flop? Die „Antigone“-Inszenierung der Oldenburger Kulturetage gab trotz überwältigender Kulisse Rätsel auf

Top oder Flop? Die Oldenburger Freiluftinszenierung der „Antigone“ nach Sophokles gab dem Publikum Rätsel auf. Auch der Kritik. So recht durchfallen lassen kann man die teuerste Inszenierung der Kulturetage nämlich nicht. So richtig gut war es aber auch nicht. Und für beides war der Ort verantwortlich.

Denn das Trockendock der stillgelegten Brandswerft bot allerhand Anreiz zum Experiment, definierte mit seiner kühlen, apokalyptischen Stimmung aber auch die Atmosphäre des Stückes. Es war der Hauptschauspieler, was sich in der geplanten Bühnenfassung als Problem erweisen könnte. Das Dock bot der Tragödie einen unvollendeten Schiffsrumpf als Bühnenplattform. Schächte führen in den Bauch des gestrandeten Klotzes, koboldartige Gestalten kriechen aus Luken hervor. Die langmähnigen Frauen tanzen, lachen, schnalzen, giggern. Hundegebell ertönt aus den Tiefen des Docks, hallt von den Spundwänden zurück: Die Soldaten kommen. Und mit ihnen Ismene und auch Antigone, scheu an Blümchen nestelnd, die sie ihrem Bruder Ödipus zum heimlichen Begräbnis beigibt. Denn Kreon, der neue Herrscher Thebens, hatte die Leiche des unehrenhaft gefallenen Ödipus dem Fraß der Vögel preisgegeben, um ein staatstragendes Exempel zu statuieren, dem sich Antigone also widersetzt. Tödlich für sie.

Tine Madsen aus Dänemark konzentriert sich in ihrer Regie auf diesen Konflikt zwischen dem weiblich Archaischen, das nur den alten Göttern gehorcht, und dem männlichen Herrschaftsprinzip, das aus der Familie heraus in den Staat hinein wirkt. Burkard Forstreuther ist Kreon, im offenen Leinenjakett, erfolgsgewohnt, charismatisch, attraktiv. Eben so, wie sich Politiker heute gerne in „Live and Style“ präsentieren. Alles Pose, und damit zerstört er letztlich, was ihm am Herzen liegt: Familie, Staat. Denn – das macht hier Kreons blind-räsonnierendes Scheitern glänzend deutlich – Macht, das ist eben nicht ein Besitz, ein bloßes Recht, das ist eine Pflicht, zu sorgen. Das Patriarchat auf dem Prüfstand.

Der Gegenentwurf, das sind hier die wimmernden, heulenden, schnalzenden Erynnien, der Schauspielerinnenchor, mal langhaarig, mal kahlköpfige Geschlechtsneutren. Sie verkörpern die archaischen, weisen Stimmen, fummeln taubstummenähnlich mit den Händen in der Luft rum, kommentieren so wimmernd den Disput zwischen Kreon und seinem Sohn Haimon (Benjamin Kropp). Es ist ein mutiger Schritt von Tine Madsen, den Akzent auf dem Weiblichen Klagegesang so drastisch zu setzen, dem Wunsch nach dyonisischer Lebendigkeit Stimme und Gehör verleihend.

Japsend, wimmernd, gellend rollen die Kahlköpfinnen über den Boden, hüpfen, springen – mitunter hat das aber was sehr bioenergetisches. Und was eigentlich Antigone inmitten all dessen soll, bleibt etwas schleierhaft. Denn sie wird von Yves-Yuri Garate sehr blass, fast depressiv gespielt, und kann so gar nicht als kraftvolle weibliche Identifikationsfigur herhalten. Abgesehen davon, dass sich eine männlich besetzte Frauenrolle dazu nicht eignet.

Zwar hat sich Tine Madsen damit an die Urform der Tragödie gehalten, befindet sich aber im Widerspruch zu ihrem starken Akzent auf das Weibliche. Und an der Schwelle zum dritten Jahrtausend muss man einfach berücksichtigen, dass mit dem Mann-Frau-Thema die ganze Genderklamotte mit ins Rollen kommt. Das ist der Rezeptionshintergrund, und darum warf diese Besetzung beim Publikum sichtlich mehr Fragen auf, als sie beantwortete.

Der Rahmen der Inszenierung ist aber einfach toll. Ein gespenstischer alter Ladekran bewacht die Szene. Hinter dem Schiffsrumpf erstreckt sich die wassergefüllte Tiefe des Docks, die Lichtregie spielt mit den Spiegelungen, projiziert so Farben auf die blaugrüne Spundwand. Eine gespenstisch verschleierte Frau läuft da unten rum, auf die Bühne zu, sie zerwirft Geschirr. Eurydikes Trauer, wie auch die orgiastischen Tänze auf den Gräbern, werden lautmalerisch verbildlicht in den percussiven Klängen des Piano, dem Brummen und Schnalzen des Baritonsaxophons, harten Trommelwirbeln auf einer Bretterwand.

Das Trio Contrast (Sorin Petrescu, Emil Sein, Doru Roman) verwandelte das 120 Meter lange und zweiundzwanzig Meter breite Dock zum Klangkörper. Die phantastischen Bilder, die hier stets auf zwei Ebenen spielen, bekommen so fast filmisch surreale Qualität. Das Schauspielerische verflüchtigt sich so halt auch allzu oft im Raum, nur die Schreie der Klageweiber hallen tief nach, unterm regenschweren Oldenburger Nachthimmel. Marijke Gerwin

Foto: Kulturetage, es zeigt Kreon

„Antigone“ ist im Trockendock der Oldenburger Brand Werft, Werftweg 15, täglich außer montags bis zum 15. August zu sehen. Einlass: 21.15 Uhr; Beginn 21.45 Uhr (bis 6. August) bzw. 21.30 Uhr (ab 8. August). Karten und Infos unter Tel.: 0441/92 48 00.