: Stasi-Thriller in Polen
Als „Bolek“ und „Alek“ sollen Polens Expräsident Walesa und der amtierende Staatschef Kwasniewski für den Geheimdienst gespitzelt haben
aus Warschau GABRIELE LESSER
Die Schurken des Präsidentschaftswahlkampfes in Polen heißen „Bolek“ und „Alek“. Mit der berühmten Zeichentrickserie „Bolek und Lolek“ haben sie jedoch nichts zu tun. So lustig ist das Spionagestück, das gerade wieder in Polen gegeben wird, auch nicht. Verwickelt in den neuesten Agentenskandal sind Lech Walesa, der frühere Präsident Polens und legendäre Arbeiterheld der Solidarność, und Aleksander Kwasniewski, der derzeit amtierende Präsident. Beide Politiker sollen Spitzel des kommunistischen Sicherheitsdienstes (SB) gewesen sein.
Zumindest wirft ihnen dies das „Lustrationsgericht“ in Warschau vor. Vor diesem Gericht müssen Bewerber für ein hohes Staatsamt Rechenschaft über ihre Vergangenheit im Kommunismus abgeben. Stellt sich heraus, dass der Kandidat in seiner „Lustrationserklärung“ gelogen hat, darf er zehn Jahre kein öffentliches Amt mehr bekleiden.
Tatsächlich hat Walesa in den 70er-Jahren „einen Schrieb“ unterzeichnet, wie er 1976 Jacek Kuron, einem der führenden späteren Bürgerrechtler, beichtete. Der gerade aus dem Gefängnis entlassene Monteur auf der Danziger Leninwerft hat dem Sicherheitsdienst aber keine Informationen über anstehende Streiks, Streikführer oder „Unruhestifter“ geliefert. Andernfalls hätte er sich selbst anzeigen müssen. Walesa hatte 1976 versucht, unabhängige Gewerkschaften zu gründen, und war von der Werftleitung entlassen worden. Vier Jahre später stellte sich Walesa an die Spitze der Streiks in Danzig, verhandelte mit der kommunistischen Regierung und setzte die Gründung der freien Gewerkschaft Solidarność durch.
Dass ausgerechnet Walesa ein polnischer Stasispitzel gewesen sein soll, mutet so absurd an, dass nicht wenige Beobachter dahinter ein politisches Komplott vermuten. Adam Michnik, einst Weggefährte Walesas und heute politischer Gegner des Expräsidenten, ergriff Partei für den Angegriffenen. Niemand in Frankreich komme auf die Idee, so Michnik in der Gazeta Wyborcza, de Gaulle der Kollaboration mit den Nazis zu verdächtigen. Niemand in Deutschland würde Willy Brandt der Zusammenarbeit mit der Gestapo bezichtigen. Alle wüssten, dass der eine wie der andere Gegner der Nazis waren.
In Polen aber werde Walesa, der das „Symbol der Solidarność“ sei, vor das Lustrationsgericht gezerrt. Und als Zeugen wolle man seine alte Feinde vernehmen. Für ein elendes politisches Spiel „erniedrige und demütige man Polen in den Augen der ganzen Welt“. Bitter fragt Michnik: „Was, meine Herren Lustratoren, wollen Sie herausbekommen? Dass es Agenten des kommunistischen Sicherheitsdienstes waren, die den Kommunismus besiegten?“
Am Tag darauf wiederholt sich das Szenario. Diesmal ist „Alek“ dran. Unter diesem Decknamen soll Staatschef Aleksander Kwasniewski gespitzelt haben. Vor Gericht sagt Kwasniewski aus, dass er nie mit der Zeitung Zycie Warszawy zusammengearbeitet habe und die Kurzform seines Namens „Olek“ sei. Er kenne aber Hauptmann Wytrwala vom Sicherheitsdienst. Wytrwala sei für Jugendzeitungen zuständig gewesen und habe Kwasniewski, damals Chefredakteur zweier Studentenzeitungen, in der Redaktion besucht. Michnik, der in den letzten Jahren gegen jede Vergangenheitsaufarbeitung des polnischen Stasi-Systems eingetreten war, sieht in der „Affäre Alek“ einen „Lustrations-Staatsstreich“. Die Akten des Sicherheitsdienstes hätten nichts an Gefährlichkeit verloren und bedrohten heute die junge Demokratie Polens. Das Gesetz über die Lustration sei abzuschaffen. „Die Zeit für den Widerstand ist gekommen.“ Der Prozess gegen Walesa wird heute fortgesetzt.
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