: Biotop gegen Vorurteile
Jugendliche aus acht Nationen pflegen die Umwelt in Stellingen. Beim Disko-Besuch allerdings hört die Völkerverständigung oft auf ■ Von Henrik Gast
Karen Amenakyans Leben begann noch lange nicht, als Türken im Jahr 1915 Hunderttausende seiner armenischen Landsleute ermordeten. Er ist jetzt 18 Jahre alt, und immer am 24. April, dem Trauertag seines Volkes, legen er und seine Familie Blumen vor die Denkmäler des Massakers. Trotzdem verspürt er keinen Hass. Im Gegenteil: Die zwei jungen Türken, mit denen Karen Amenakyan im Landschaftsschutzgebiet Stellingen gerade ein Biotop anlegt, sind in den knapp drei Wochen zu besonders guten Freunden geworden.
„Neuen Lebensraum für Tier- und Pflanzenwelt“ wollen die 16- bis 22-Jährigen aus Armenien und der Türkei, aus Mexiko, Polen, Russland, Spanien, Weißrussland und Deutschland schaffen. Organisiert wird das Projekt seit 15 Jahren von den Hamburger Wasserwerken (HWW) und dem internationalen Jugendgemeinschaftsdienst (IJGD). Sie bezahlen die Unterkunft und die Verpflegung der Teilnehmer, die Jugendlichen tragen die Reisekosten.
„Unsere Regierungen waren damals verfeindet, aber wir sind nun gute Freunde“, sagt der 16-jährige Türke Gündüz Kücükertunc und zeigt auf die Armenier Karen Amenakyan und Aleksandr Balayan. Die jungen Frauen und Männer haben auf der 1,5 Hektar großen Fläche einen kleinen Teich angelegt, an dem sich nun seltenes Gewächs niederlassen soll. „90 verschieden Pflanzen sind bereits hier“, sagt Dr. Hermann Kukowski, Mitarbeiter der Abteilung Wasserwirtschaft und Ökologie der HWW. Darunter vier, die auf der Roten Liste Hamburgs stehen: Zu Wiesensegge, blaugrünem Schwaden, Knäuelbinse und Bachbunge sollen sich nun weitere Außenseiter gesellen. Dazu muss das Gelände noch feuchter werden und deswegen heben die 19 Jugendlichen Beetgräben aus, die sich schnell mit Wasser füllen. „Früher war die Fläche wahrscheinlich ein Niedermoor“, sagt Kukowski.
Karen Amenakyan zeigt auf einen Zaun rund um das Gelände. Den hätten sie gezogen, damit die Bürger ihren Müll dort nicht abladen und die Pflanzenwelt zerstören. „Wir unterhalten uns oft darüber, wie die Menschen in unseren eigenen Ländern mit der Natur umgehen“, sagt Gündüz Kücükertunc. „Unsere Regierung hat den Unternehmern zwar Umweltauflagen gegeben, aber niemand kontrolliert sie“, kritisiert er. Aleksandr Balayan sieht die Situation ähnlich: „Bei uns schmeißt jeder seine Abfälle dorthin, wo er gerade steht, vieles wird ins Meer geschwemmt.“ Der 18-Jährige studiert Ökologie in Jerewan, der Hauptstadt Armeniens, und möchte später helfen, die Natur zu schützen. Er komme aus keiner reichen, aber auch nicht aus einer armen Familie, trotzdem mussten seine Eltern lange sparen, um ihm den Flug nach Deutschland zu bezahlen.
„Die 19 Jugendlichen sind zu einer großen Gemeinschaft zusammengewachsen“, erzählt Roland Siefer vom IJGD. Das alles diene der Völkerverständigung. Bei manchen Deutschen hört die allerdings auf: Discotheken besucht der Spanier Luis Miguel Herranz in Hamburg nur ungern, weil er dort „wegen meiner Haarfarbe böse angeschaut“ wird. „Wenn ich mit den Armeniern und den Türken losziehe, kommen wir nicht so einfach in die Clubs hinein.“
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