: Reiten auf der Massenkultur
Löste seinerzeit heftige Kontroversen um Politik und Ästhetik aus: Blow Up von Antonioni ■ Von Tim Gallwitz
Mit Blow up von Michelangelo Antonioni kommt im Metropolis ein Film zur Wiederaufführung, der Style und Intelligenz in einer zeitlos-attraktiven Mischung zu verbinden weiß. Schon der Vorspann eines Films kann einem die Spur von Gefallen oder Missfallen voreinstellen, zumindest aber den Augen Hinweis sein, was sie im Folgenden zu besehen haben. Das leicht türkisstichige Hintergrundgrün des Vorspanns von Blow up (1967), auf dem schlanke, klare Schrifttypen ablaufen, ihre Farbe von Goldgelb in Graublau hin und her wechselnd, kündet bereits in der ersten Filmminute von der Präsenz eines Ästhetischen, das einen bis zum Ende nicht mehr verlassen wird. In der Eingangssequenz steigt der Fotograf Thomas (David Hemmings) nach einer klandestinen Exkursion in ein Londoner Obdachlosenasyl in sein Rolls-Royce-Cabrio, erreicht dann sein feines Atelier, damit den Sozialneid des Betrachters zu höchster Blüte treibend, und zieht dort ein Shooting mit Model durch. Und es wird bereits zu Anbeginn geklärt, dass hier eine Analyse des Verhältnisses von Realität und ihrer Abbildung zur Verhandlung steht.
Ob Doku-Fotos oder Modekatalog, dem Blick auf die Realität der Armut und dem auf die Künstlichkeit des posierenden Körpers wohnt kein entscheidender Unterschied inne, allenfalls die Gradzahl inszenatorischer Parameter sorgt für Abstufungen. Und Antonioni geht noch weiter. Die Aufnahmen, die Thomas von einem Paar im Park macht, friedvolle, stille Bilder, die seinen hart-realistischen Fotoband abschließen sollen, geben bei steter Vergrößerung (Blow up) die Abbildung eines Mordes frei. Wenn Thomas in den Fotos – ebenso wie ein befreundeter Maler in seinem Bild – die Spur eines Krimis findet, enthüllt dies vor allen Dingen ein Subjekt-Objekt-Verhältnis. Das, was eine Aufnahme objektiv-materiell enthält, ist eine Frage des Blicks, der Wahrnehmung. Was einer erblickt, bedarf, um es allgemein gültig für wahr zu halten, der Einigung, des Abgleichs mit den Wahrnehmungen anderer. Auf den Punkt bringt Antonioni dies in der Schlussszene: Ein pantomimisches Tennisspiel beobachtend, landet schließlich der imaginäre Ball in Thomas' Nähe. Er lässt sich auf das Spiel ein, wirft den Ball zurück, und der tut fortan – für alle im Kino hörbar – sein reales Sein mit dem deutlich hörbaren Sound des jeweiligen Aufpralls kund.
Wirklich ist demnach, was wir zur Wirklichkeit erheben. Antonioni zeigt hier ein Feld auf, in dem das Kollektiv mächtig und die Phantasie wirklich ist. Dafür wurde er von Politpuristen des Symbolismus geziehen.
Sollen die Verhältnisse endlich mal wieder zum Tanzen gebracht werden, müssen wir uns nur eine Vorstellung davon machen. Und sind genügend da, die Musik machen, wird auch noch der sprödeste Spätkapitalismus zum hopsenden Tanzbär, wetten? Der Zank, den es in den Endsechzigern um den Cannes-Sieger Blow up gab, ob der nun unpolitischer Formalismus oder popkulturelle Revolution sei, verrät mehr über damalige Grabenkämpfe als über den Film selbst. Ernst Wendt meinte in Film 1967 sehr richtig, Blow up zeige, „daß sich auf der zur Erhaltung der kapitalistischen Ideologie propagierten Massenkultur mit Bewußtsein reiten läßt“. Hinzuzufügen wäre vielleicht, dass der Reiter dabei auch noch verdammt gut aussehen kann. Allein die Szenen von David Hemmings und Vanessa Redgrave, ihr luzides Changieren zwischen Verzweiflung und Attraktion, sind schon das Eintrittsgeld wert. Und die Ausstattung, die Kamera, das allerorten erwähnte, freilich nur kurz aufscheinende „Swinging London“: „Niveau ist eine Frage von Stil“ sagt der Pudel Club in einer Anzeige. Und Stil, meint Blow up, ist die lässige Untertreibung des Extravaganten, die gleichmütige Ästhetisierung und ironische Theatralisierung in der Benutzung des Modischen und Massenkulturellen. Ach ja, und die Musik von Herbie Hancock und The Yardbirds, ganz Antonioni-like sparsam eingesetzt, könnte auch die Verhältnisse zu einem ganz passablen Tanz einladen.
heute, 21.15 Uhr, Freitag, 4.8., 17 Uhr, Montag, 7.8. 17 Uhr, Dienstag, 8.8., 21.15 Uhr, Donnerstag, 10.8. 17 Uhr, Samstag, 12.8. + Sonntag, 13.8., 21.15 Uhr + Mittwoch, 16.8., 21.15 Uhr, Metropolis
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