: Helden und Diebe
Rettung in letzter Minute: Napster, die Tauschbörse für Musikfiles, darf vorerst am Netz bleiben. Auch die Musikindustrie sieht ein, dass sie mit bloßen Verboten nicht weiterkommt
von ERIK MÖLLER
Damit hatte kaum noch jemand gerechnet: In letzter Minute wurde am Freitag die einstweilige Verfügung gegen die MP3-Tauschbörse Napster von einem Berufungsgericht aufgeschoben. Bis zum 18. August hat Napster Zeit, Schriftsätze zur eigenen Verteidigung einzureichen, der Interessenverband der Musikindustrie RIAA muss bis zum 8. September darauf antworten, danach beginnt die Anhörung beider Seiten.
Verhandelt wird lediglich die einstweilige Verfügung, in der Sache selbst hat der Prozess noch gar nicht begonnen, der vermutlich ohnehin in die nächste Instanz vor den Obersten Gerichtshof gezogen wird: Zeit genug also für Napsters Anwalt David Boies, der bereits Bill Gates in die Mangel nahm. Er beruft sich im Fall Napster auf den „Audio Home Recording Act“ (AHRA) von 1992, der das nichtkommerzielle Kopieren von Musik legalisierte. „Wenn das, was Napsters User machen, nicht illegal ist, können wir auch nicht der Beihilfe schuldig gesprochen werden“, argumentiert der Anwalt.
Das Gesetz gilt ausdrücklich für digitale und analoge „Aufzeichnungsgeräte“. RIAA hält dagegen, dass ein Computer, auf dem Musik im MP3-Formt gespeichert ist, kein solches Aufnahmegerät sei. Sollte das Kopiergesetz als Argument anerkannt werden, wäre ohnehin nur ein Präzendenzfall für den Musikbereich geschaffen, Software, Videos und Bücher wären nicht unmittelbar betroffen. Die Verteidigung führt aber zusätzlich die so genannte „Betamax-Entscheidung“ aus den 80er-Jahren an. Die Filmindustrie hatte damals Sony verklagt, weil mit deren Videorecorder illegale Kopien von Filmen angefertigt werden könnten. Das Gericht entschied jedoch, dass Videorecorder nicht verboten werden können, weil sie auch legale Kopien möglich machen.
Dasselbe gelte heute auch für das Napster-System, meint Boies und verweist auf unbekannte Bands, die gerne die weltweite Tauschbörse als Plattform nutzen, und auch auf das „New Artist Program“, das Napster selbst zu diesem Zweck eingerichtet hat.
Doch die RIAA rechnet vor, dass höchstens 10 Prozent der bei Napster verfügbaren Kopien legal seien. Der Betreiberfirma sei deshalb ohne weiteres zuzumuten, eine Positivliste der legalen Titel anzulegen und jeden weiteren Tausch zu verhindern.
Für die Verteidigung wäre diese Sperre jedoch bereits ein Eingriff in die Meinungsfreiheit der Napster-Gemeinde. Von deren Glaubwürdigkeit wird der Ausgang des Verfahrens abhängen. Das Image der Firma als Befreier der Musik aus den Klauen des Molochs RIAA ist ramponiert. Längst handelt es sich nicht mehr nur um das Hobby eines Collegestudenten. Der 19-jährige Shawn Fanning, Entwickler des genialen Programms, spielt in der Firma keine Rolle mehr. Der jetzige Geschäftsführer Hank Barry ist zugleich Partner in der Investment-Bank Hummer Winblad, die Napster mit mehr als 15 Millionen Dollar gefördert hat. Er ist erfahrener Experte in Sachen Medienrecht. Andere Mitarbeiter Napsters hatten zuvor für Sony und Philips gearbeitet.
Und natürlich will Hummer Winblad irgendwann Profit machen. Im Falle eines Sieges vor Gericht würde ein Börsengang vermutlich ausreichen, um die Kassen für die nächsten Jahrzehnte zu füllen. In der Vergangenheit geriet Napster außerdem wegen seiner teils heuchlerischen Geschäftspraktiken in die Kritik:– Kurz nach dem Erscheinen der ersten Beta-Versionen des Programms dokumentierten Hacker das zur Datenübertragung verwendete Protokoll. Zunächst versuchte Napster, diese Informationen unter Androhung rechtlicher Schritte geheim zu halten. Der Grund: Wer das Protokoll kennt, kann so genannte Klone programmieren, die nicht unter Napsters Kontrolle stehen.– Als die Rockband „The Offspring“ ohne Erlaubnis T-Shirts und Mützen mit dem Napster-Logo druckte, wurde sie von Napster zum Unterschreiben einer Unterlassungserklärung aufgefordet. Erst nach ausgiebiger Medienschelte bemühte man sich dann doch um eine gütliche Einigung.– Nach der einstweiligen Verfügung gegen Napster wanderten viele der Benutzer zu Napster-kompatiblen Programmen wie FileNavigator (www.filenavigator.net) und AudioGnome (www.napster.org.uk) ab. Doch sobald feststand, dass Napster vorläufig am Netz bleiben darf, wurde mit einem rasch veränderten Protokoll all diesen Klonen der Zugriff versperrt.
Antwort der Industrie
Doch trotz dieser Schönheitsfehler wird auch der Industrie zunehmend klar, dass man den Kampf gegen die Internetpiraterie kaum auf traditionellem Wege gewinnen kann. So verkündete Andreas Schmidt, Vorstand der Bertelsmann E-Commerce Group, am Samstag, „kein Gericht der Welt“ werde den Dateientausch effektiv stoppen können, solange man keine legalen Möglichkeit zum digitalen Musikerwerb biete.
Auch die kaum noch zählbaren Alternativen zu Napster zwingen die Musikkonzerne zum Umdenken. Dabei sind Systeme wie Gnutella (gnutella.wego.com), Blocks (kripto.org/blocks), FreeNet (freenet.sourceforge.net) und JungleMonkey (www.junglemonkey.net) nicht zentralisiert und damit juristisch schwer angreifbar: Es gibt keinen Betreiber des Adressenservers wie bei Napster, die Benutzer sind lediglich über das Netz untereinander verbunden. Einige von ihnen sind außerdem anonym.
Noch sind diese Programme schwieriger zu bedienen als Napster, und die Industrie versucht, allen möglichen Nachfolgern zuvorzukommen. Am Montag hat das weltgrößte Label „Universal Music“ angekündigt, einen eigenen digitalen Musikvertrieb aufzubauen. Ein spezielles, „Bluematter“ genanntes, nur mit dem RealAudio-Player abspielbares Format und ein Verschlüsselungsverfahren sollen unerwünschtes Kopieren verhindern. In den Preisen ist immer noch ein ordentlicher Gewinnanteil für den Konzern enthalten. Aber immerhin bewegt sich etwas.
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