Brötchen, Broker und Kondome

von MALTE KREUTZFELDT

Brot, Kondome, Dessous: Während sich diese Waren schon immer in den Haushalten der Republik finden ließen, sind die dazugehörigen Aktien in deutschen Depots ein eher neues Phänomen. Doch im Schatten der großen Standardaktien und der viel beachteten Internet- und Hightech-Emissionen haben in den vergangenen zwei Jahren auch mittelständische Unternehmen mit ganz alltäglichen Produkten den Sprung an die Börse gewagt.

Das lief anfangs nicht ohne Widerstände ab: Das „Schmuddel-Image“ der Erotik-Aktien von Beate Uhse und der Präservativ-Papiere von Condomi schreckte manchen Analysten ab. Und auch der Bäcker Heiner Kamps hatte zunächst erhebliche Probleme, die Broker davon zu überzeugen, dass Brötchen für die Börse geeignet sind. Doch inzwischen sind die Kritiker verstummt. Seit dem Start im April 1998 hat die Bäckereikette Kamps einen Kursverlauf gezeigt, wie ihn die Börsenwelt selten gesehen hat: Nach einem Jahr hatte sich der Kurs verfünffacht, nach knapp zwei Jahren war er zehnmal so hoch wie zu Beginn. Auch die Beate Uhse AG startete furios: Innerhalb weniger Tage hatte sich der Ausgabekurs im Mai vergangenen Jahres vervierfacht. Und bei Condomi kletterte die Aktie nach dem Börsengang im letzten Dezember von 16 Euro bis zum Jahresbeginn immerhin auf 24,50 Euro.

Mittelstands Europakauf

Seitdem dümpeln die Papiere allerdings vor sich hin. Kamps hat seit dem Höchstkurs vom Januar rund ein Drittel an Wert verloren, Condomi fiel seit Februar um ein Fünftel. Und als sich gestern die Aktionäre der Beate Uhse AG zur Hauptversammlung in Flensburg trafen, war ihr Kurs allein in diesem Jahr um 20 Prozent gesunken und hatte gegenüber dem Höchststand sogar fast die Hälfte eingebüßt. Grund zur Sorge besteht dennoch kaum, denn durch den Börsengang ist den Unternehmen etwas gelungen, was den meisten deutschen Firmen noch bevorsteht: Sie sind zu echten Europäern geworden.

So hat die aus einem 1946 gegründeten „Ein-Frau-Betrieb“ hervorgegangene Beate Uhse AG im vergangenen Jahr den niederländischen Erotik-Versender Pabo, die belgisch-niederländischen Filialkette Sandereijn sowie einen Großhandel in Amsterdam übernommen und – über Europa hinaus – ein Joint Venture in Australien gestartet. Als Nächstes steht die Ausweitung des Engagements in Skandinavien auf dem Programm. Auf der Hauptversammlung betonte Finanzchef Ulrich Hülle gestern, derzeit sehe das Unternehmen vor allem in Osteuropa einen Wachstumsmarkt. Um die Aktionäre bei Laune zu halten, hat der Vorstand vorgeschlagen, gut acht Millionen Mark des Bilanzgewinns von 21 Millionen Mark als Dividende auszuschütten.

Auch Condomi hat den Kontinent im Visier: Seit dem Börsengang ist das Kölner Unternehmen, das in Deutschland einen Marktanteil von fast 15 Prozent hat, eine Kooperation mit einem britischen Pharmavertrieb eingegangen, ist beim polnischen Marktführer für Kondome als Mehrheitseigner eingestiegen und hat eine französische Vertriebsfirma übernommen. Durch eine Kooperation mit dem Melissengeist-Vertreiber Klosterfrau steht jetzt auch Österreich offen. Neueste Errungenschaft ist die norwegische Vertriebsgesellschaft Kondomeriet, an der sich Condomi im Juli mit 51 Prozent beteiligt hat.

Darüber hinaus verwenden die beiden Erotik-Unternehmen ihre Börsenmillionen dafür, ein Standbein in der „New Economy“ zu platzieren. Condomi baut seinen eigenen Online-Shop beständig aus, betreibt die Web-Site für „Liebe Sünde“ und hat kürzlich den E-commerce-Anbieter ON! übernommen. Auch Beate Uhse erweitert das eigene Internet-Angebot beständig und hat im letzten Jahr eine enge Kooperation mit T-Online gestartet. Auch beim neuen Bezahlfernsehen will der Erotik-Anbieter mitverdienen: Noch für dieses Jahr ist der Start eines eigenen Beate-Uhse-Kanals unter dem Dach von Premiere Digital geplant. Als weiteres Wachstumsfeld sehe man auch Video-on-Demand. Um den Kunden die Nutzung von Internet-Angeboten und Telefondiensten zu erleichtern, werden man eine Pre-Paid-Karte einführen, erklärte Vorstand Hülle. Auch würden derzeit WAP-Angebote erarbeitet, die per Handy abgerufen werden können.

Damit haben Beate Uhse und Condomi bereits ziemlich genau das umgesetzt, was Wirtschaftsminister Werner Müller gestern beim „Mittelstandstag“ auf der Expo gefordert hat. Als zentrales Thema des „Aktionsprogramms Mittelstand“ der Bundesregierung nannte Müller vor allem die Ausnutzung der Potenziale der modernen Kommunikations- und Informationstechnik. Den Vorwurf, die Mittelständler würden die Auffahrt auf die Datenautobahn verpassen, wollte er dabei nicht gelten lassen. Während im Frühjahr 1999 noch 70 Prozent der Betriebe nicht daran gedacht hätten, das neue Medium Internet fürs Geschäft zu nutzen, hätten in diesem Frühjahr schon 63 Prozent eine eigene Homepage im Netz. Der Anteil der Firmen, die bereits betriebliche Funktionen ins Internet verlagert haben, sei um fünf auf 16 Prozent gestiegen. Zweite zentrale Forderung des Wirtschaftsministers: Die Unternehmen müssten über strategische Allianzen nachdenken und sich stärker internationalisieren. Das werde zunehmend zur Voraussetzung, um Marktpotenziale zu sichern und zu erweitern, so Müller gestern in Hannover.

Da dürfte ihm die Bäckereikette Kamps gut gefallen, denn hier schreitet die Expansion in besonders großen Dimensionen voran. Der klassische Mittelständler, der bis 1992 in Düsseldorf eine Filialkette von 20 Bäckereien aufgebaut hatte, verkaufte seinen Betrieb damals an einen US-Konzern – und erwarb das Unternehmen vier Jahre später und um drei norddeutsche Ketten erweitert zurück. Nach dem Börsengang 1998 folgte zunächst die bundesweite Ausdehnung durch Übernahmen in Köln, Bonn, Mannheim, Krefeld, Berlin und im Ruhrgebiet. Mit dem Kauf des „Fabrikbäckers“ Wendeln, der Supermärkte mit Schnittbrot beliefert („Golden Toast“, „Lieken Urkorn“) verdreifachte Kamps zum Jahreswechsel schlagartig seinen Umsatz. Dass er sich durch den Einzug in die Supermärkte den Zorn seiner traditionellen Bäckerkollegen zuzog, die in ihrem ehemaligen Kollegen zunehmend eine Bedrohung für ihre Familienbetriebe sehen, konnte Kamps nicht aufhalten. Auch den öffentlichen Protest einiger seiner Pächter gegen Knebelverträge und schlechte Arbeitsbedingungen bremste die Expansion nur kurzfristig.

Kein Mittelstands-Ruck

Erste Schritte ins Ausland begann der Bäcker im vergangenen Jahr durch den Erwerb einer niederländischen Kette; durch zwei weitere Zukäufe ist Kamps dort jetzt Marktführer. Eine neue Dimension erreichte das Unternehmen durch eine 49-Prozent-Beteiligung am französischen Konzern Harry’s, denn dadurch übernimmt Kamps nicht nur die Marktführerschaft in Frankreich, sondern ist mit einem Schlag auch in Spanien, Italien, Belgien, der Türkei und Osteuropa präsent. Diese Größe gibt Sicherheit: Inzwischen macht Kamps viermal so viel Umsatz wie der nächste europäische Konkurrent.

Trotz der positiven Vorbilder wollen sich die meisten Mittelständler auch weiterhin von den Aktienmärkten fern halten. Bei einer Umfrage des Verbands Creditreform e. V. gaben im Mai nur rund fünf Prozent der befragten Unternehmen mit einem Umsatz bis 100 Millionen Mark an, dass sie konkrete Pläne für einen Börsengang haben. Drei Viertel der Mittelständler schlossen diesen Weg der Kapitalbeschaffung definitiv aus.