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Zoten eines Gewerkschafters

Provokation light: Ingo Appelt sieht sich als Nachfolger des „Literarischen Quartetts“ und macht keinerlei Hehl aus seiner Verwurzelung in der IG Metall. Jetzt folgt auch noch die eigene TV-Show

von PASCAL BEUCKER

Die Idee ist alt, uralt. „Tags sind sie Bullen, nachts sind sie Nullen!“, riefen höhnisch Studenten den Polizisten zu, die sie im Herbst 1966 durch die Kölner Innenstadt verfolgten. Um ihren Spott zu illustrieren, hielten sie zuerst ihren rechten Arm wie einen Knüppel hoch, um ihn dann wie einen Schlappschwanz nach unten hin und her zu schwenken. Damals ging es gegen die Erhöhung der Straßenbahnpreise. Heute geht es um die Erhöhung der Einschaltquote.

Und wenn Ingo Appelt seine Witze über Impotenz von der Bühne johlt und ein Schild mit dem Wort „Ficken“ hochhält, grölt der Saal – und glaubt immer noch, gerade etwas ungeheuer Unanständiges und ungeheuer Provokantes mitbekommen zu haben.

Das Konzept trägt

Ist es dem Zoten-Virtuosen mit der Mephistopheles-Frisur zu verdenken, dass er die spießige Verklemmtheit seines Publikums virtuos in bare Münze umzusetzen versteht? Immer noch sei die ihm meistgestellte Frage die, wann er endlich mit dem „Ficken“ aufhören wolle, erzählt Appelt. Solange das so ist, verfängt sein Konzept.

Es lebt sich zurzeit gut als „Harald Schmidt der Saunasen“ (taz) und als „Kotzbrocken der Nation“ (Spiegel). Seine Bühnenprogramme, in denen er an rotgefärbten Tampons saugt, goutieren bis zu zweieinhalbtausend Besucher, seine CD „Der Abräumer“ hielt sich über 20 Wochen in den deutschen Longplay-Charts und brachte ihm die Nominierung für den „Echo 1998“ ein. Die „Ingo Appelt Show“, mit der er im Januar für Stefan Raabs „TV Total“ auf Pro7 eingesprungen war, brachte sogar eine Nominierung für den Grimme-Preis – ein Horror für die Schöngeister der Branche: „Wenn man mit Variationen auf das Wort ‚ficken‘ Grimme-preisverdächtig wird, dann Lebewohl Volkshochschulencharme“, giftete Eloquenz-Bolzen Roger Willemsen.

Nun kommt Appelt ab Mitte September wöchentlich auf den Bildschirm. Zunächst vierzehn Folgen produziert Thin Ice TV, ein Gemeinschaftsunternehmen von Appelt und Brainpool, mit dem 33-Jährigen für Leo Kirchs Pro7. Seine Comedy-Show sei die erste, die sich einen Auftrag gesetzt habe, wirbt Appelt: Es soll um den Geschlechterkampf gehen. „Mein Thema ist: Ich blase zum geordneten Rückzug der Männlichkeit.“ Denn Männer stehen gerade auf dem Verliererposten: „Diese Kriegstreiber, diese Gewinner, diese Aktienkäufer, diese megapotenten Typen, diese Ficker eben – die machen immer nur Scheiße.“ Das Refugium Männlichkeit sei eigentlich ein bisschen dahin. „Was Männer am besten können, sind Atombomben bauen, Kriege führen, Autos herstellen, Pitbulls abrichten, Frauen vergewaltigen, Kinder schänden – das sind alles so Tätigkeiten, wo man sagt: Brauchen wir gerade nicht mehr.“

Ob er sich als politischer Comedian versteht? Irgendwie schon: „Ich finde, dass auch Komik etwas sehr Politisches ist: Du bist ein Spiegel der Gesellschaft und du bist auch immer einer, der an die Grenzen gehen muss.“ Zwar habe seine neue Sendung „jetzt nicht eine überdimensionierte politische Botschaft“, aber sie sei schon „politisch, weil das Thema gesellschaftlich brisant ist“. Auf jeden Fall ist es erfolgversprechender als das „Anti-AKW-Programm“, mit dem er mit 22 Jahren im Münchner „Hinterhoftheater“ debütierte: Seinerzeit hatte der in Essen Geborene und in Würzburg Aufgewachsene noch Dieter Hildebrandt als Idol. Damals war er gerade erst der Fabrik entkommen, in der er nach seiner Maschinenschlosserlehre sieben Jahre für Siemens malocht hat. Mit Späßchen in der Betriebskantine fing es an, dann trat der IG-Metall-Jugendvertreter auf Gewerkschaftsveranstaltungen auf, bis Appelt 1990 für Oskar Lafontaine auf die Bühne ging und im Bundestagswahlkampf „Stimmen für Oskar“ sammelte. „Ich war damals Lafontaine-Anhänger“, so Appelt heute. Drei Jahre später galt er schon beim „Köln Comedy Festival“ als bester Newcomer, aus dem Kabarettisten wurde der kommerzielle Comedian. Auftritte in „RTL Samstag Nacht“, „Zimmer frei“ (WDR) und „7 Tage, 7 Köpfe“ (RTL) folgten. Seine Rolle: „Als Pausenclown oder Springteufel aufzutauchen, den großen Holzhammer auszupacken und mal allen auf die Fresse zu hauen.“ Heute ist Jürgen von der Lippe sein Vorbild, weil der zwar „total zotig und sauig sein kann, aber eben nicht den Zynismus und die Herablassung hat wie ein Harald Schmidt“. Kulturveranstaltungen von politischen Parteien hält er hingegen inzwischen für „völlig unglaubwürdig“, und Lafontaine-Nachfolger Gerhard Schröder, zu dessen Wahl er noch 1998 aufrief, geht ihm „mit seiner scheiß Mackerkacke auf den Sack“.

Zurück in die Marktlücke

Womit er wieder in seiner Marktlücke wäre. Ob die groß genug ist, um sich längerfristig im Fernsehen halten zu können, wo schon Marcel Reich-Ranicki kaum ein „Literarisches Quartett“ ohne „ficken“ zu Ende bringt? Auf der Bühne mache er das schließlich seit zehn Jahren, sagt Appelt. Und außerdem trete er in gewissem Sinne doch die Nachfolge des „Quartetts“ an, nachdem dort die Kommunikation zwischen Mann und Frau so spektakulär gescheitert ist.

Für die IG Metall würde Appelt übrigens immer noch auftreten: „Das ist der Sumpf, aus dem ich komme.“

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