piwik no script img

Gores Schutzschild

Senator Joseph Lieberman, strenggläubiger Jude, Clinton-Kritiker und Politiker der Mitte, soll unter Al Gore Vizepräsident der USA werden

WASHINGTON taz ■ Der Bann ist gebrochen, die Spannung löst sich. Joseph Lieberman, Senator aus Connecticut, soll Al Gores Stelle bekommen und Vizepräsident der USA werden.

Zwar hat der Vizepräsident nichts zu sagen: „Ein Krug voll warmer Spucke“ sei das Amt wert, hat Roosevelts Vize Harry Truman einmal gesagt, doch um seine Wahl wird großes Theater gemacht. Nachdem George W. Bush den Oldtimer Richard Cheney als Vize gewählt hatte und sich der republikanische Parteitag auf Clinton einzuschießen schien, wählte Gore mit dem 58-jährigen Lieberman einen vergleichsweise jungen Mann, vor allem aber einen Senator, den eine breitere Öffentlichkeit als Kritiker der Skandale Clintons kennt – ob die Lewinsky-Affäre oder die Methoden, Wahlkampfgelder einzutreiben. Wenn Bush sich also auf die Unmoral der Ära Clinton/Gore einschießen will, dann wird ihm mit Liebermans Kandidatur der Wind aus den Segeln genommen.

Lieberman gilt als untadeliges Gewissen des Senats und in Zeiten ätzenden Parteienhaders als Zentrist und als jemand, der Differenzen überbrücken kann. Zusammen mit William Bennett, dem ehemaligen Erziehungsminister Ronald Reagans und Autor des „Buchs der Tugend“, startete Lieberman eine Initiative gegen Gewaltverherrlichung in der Unterhaltungsindustrie. Im Januar 1991 trat er vehement für den Golfkrieg ein, und ohne seine Fürsprache wäre die entsprechende Resolution nicht durch den Senat gegangen. Lieberman gilt als starker Verbündeter Israels und setzte sich für den Einsatz US-amerikanischer Bodentruppen in Bosnien ein.

Lieberman ist Vorsitzender des Democratic Leadership Council (DLC), der die Demokratische Partei von einem sozialdemokratischen Kurs weg hin zu einer stärker konservativen Politik steuern half. In dieser Rolle unterstützte er Clintons Kurs – und seine scharfe Kritik an Clinton hat diesem am Ende das Überleben gesichert, weil Lieberman damit seiner Partei vorführte, wie man Clinton kritisieren konnte, ohne ihn aus dem Amt zu entfernen.

Lieberman ist strenggläubiger orthodoxer Jude, der am Sabbat nicht arbeitet und deswegen schon politische Verpflichtungen abgesagt hat. Er wäre der erste Jude, der das Amt des Vizepräsidenten bekleiden würde. Liebermans Religionszugehörigkeit wird die Angriffe der Republikaner auf das demokratische Kandidatengespann dämpfen. Bush wird seine Worte vorsichtig wählen müssen, um nicht in den Ruch des Antisemitismus zu kommen. PETER TAUTFEST

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen