: Liebe dein Ressentiment wie dich selbst
Neu-Berliner sind ständig auf der Suche nach Indizien, die die Richtigkeit ihrer Entscheidung belegen. Nach guten Gründen für den Umzug an die Spree zu suchen, kommt einer Selbstüberlistung gleich, weil das jeder Entscheidung innewohnende letztlich Unbegründbare völlig verkannt werden muss
von ISABELLE GRAW
Berlin lebt bekanntlich von überzogenen Projektionen und Wettten auf die Zukunft. Es gibt wohl kaum jemanden, den es in den letzten Jahren einfach so nach Berlin verschlagen hätte. Jeder, der nach Berlin zieht, verspricht sich etwas Konkretes davon, wobei diese persönlichen Hoffnungen unterschiedliche Schnittmengen mit den allgemeinen Berlin-Projektionen bilden. Ist man, wie ich selbst, von Köln nach Berlin gezogen, dann ist der Rechtfertigungszwang allgegenwärtig. Zunächst muss man sich jenen gegenüber verteidigen, die in Köln blieben und sich dem Berlin-Sog ganz bewusst verweigerten. Diese Verweigerung bedeutet natürlich auch, dass das kulturelle Geschehen in Berlin besonders aufmerksam und argwöhnisch verfolgt wird. Interessanterweise sind die überzeugtesten Berlin-Gegner in Gedanken zumeist hier.
Doch auch dem so genann- ten Neu-Berliner fällt es sicht- lich schwer, die Situation einfach nur hinzunehmen. Neu-Berliner sind auf der ständigen Suche nach Indizien, die die Richtigkeit ihrer Entscheidung belegen. Je kontingenter eine Entscheidung, desto stärker das Bedürfnis, sie sich selbst gegenüber als notwendig darzustellen. Nach guten Gründen für den Umzug zu suchen kommt einer Selbstüberlistung gleich, weil das jeder Entscheidung innewohnende letztlich Unbegründbare verkannt werden muss.
Nur: Irgendwann kommt unweigerlich der Moment, da diese Selbsttäuschung zu Tage tritt. In meinem Fall hat es genau ein halbes Jahr gedauert, bis ich mir eingestehen musste, dass sich die ursprünglich an Berlin geknüpften Hoffnungen wie bei einem ungedeckten Scheck nicht einlösen würden. Als offizielle Berlin-Begründung hatte ich immer angegeben, dass ich im hiesigen Kultur-und Kunstbetrieb mit Gleichgesinnten, mit befreundeten TheoretikerInnen in einen Austausch treten wollte. Dabei war der Begriff des Austauschs emphatisch aufgeladen: Ich stellte mir darunter regelmäßige, freundschaftliche, durchaus kritische Auseinandersetzungen vor, deren Gegenstand die eigene Arbeit, aber auch kulturelle Ereignisse, etwa Ausstellungen sein könnten.
Bezeichnenderweise sollte sich dieser Austausch von Einschätzungen hier als äußerst schwierig gestalten. Es gibt einfach kaum Gelegenheiten, um die eigenen Thesen mit denen der anderen zu konfrontieren und gegebenenfalls abzugleichen, was natürlich auch erhebliche Vorteile – ein weniger reflexhaftes und abgesichertes Denken – mit sich bringt. Insbesondere mit den ehemals gleichgesinnten aus Köln Zugezogenen waren vertrauensvolle Zusammenkünfte eher die Ausnahme als die Regel.
Es ist schon erstaunlich, wie groß die Diskrepanzen gerade zwischen jenen AkteurInnen geworden sind, die sich vormals in großer Nähe zueinander wähnten. Während sich in Köln eine bestimmte intellektuelle Szene, die zwischen Zeitschriften („Spex“, „Texte zur Kunst“), diversen Kneipen und Galerien anzusiedeln wäre, noch durch weitgehend „geteilte Prämissen“ ausgezeichnet hatte, sind in Berlin die meisten verbindlichen Gemeinsamkeiten – angefangen von einem „linken“ Selbstverständnis bis hin zu einem normativen Begriff von Gesellschaftskritik – verloren gegangen.
Dies hat natürlich auch mit dem gewöhnlich an einen Umzug geknüpften Bedürfnis zu tun, in der neuen Stadt ein anderer zu werden und eine neue Form des Sozialen zu finden. Aber auch in dem hiesigen Kunstbetrieb scheint es das Modell eines mehr oder weniger vorbehaltlosen Austauschs, für den gegenseitiges Vertrauen und Respekt die Grundlage bilden, kaum zu geben. Dafür, dass weniger direkt kommuniziert wird, lassen sich natürlich auch naheliegende, an die Topografie von Berlin geknüpfte Gründe finden. Etwa die immer wieder ins Feld geführte enorme Größe der Stadt oder das Fehlen eines Ortes (Kneipe), auf den sich der Kunstbetrieb geeinigt hätte. Während die Kölner Kunstwelt noch weitgehend familiär funktionierte, ist der Berliner Kulturproduzent in unterschiedliche Netzwerke eingebunden. An die Stelle der potenziell zugänglichen Kneipe ist die berüchtigte Salonkultur getreten – mit Privatpartys und Essenseinladungen.
Woran liegt es nun, dass im Berliner Kunstbetrieb eine Art „Kultur des Ressentiments“ fröhliche Urständ feiert? Unter der Ressentiment-Kultur verstehe ich Gefühle wie Missgunst oder Neid, die zumeist die Form der Unterstellung annehmen. Die Übergänge zwischen Ressentiment und Paranoia sind dabei fließend, nur neigt der paranoische Blick eher zu allgemeinen Verschwörungstheorien, wohingegen sich die ressentimentgeladene Wahrnehmung gegen konkrete Personen und Produktionen richtet.
In Berlin lässt sich beispielsweise eine grundsätzliche Bereitschaft feststellen, die Schwachstellen einer künstlerischen Arbeit sogleich hervorzuheben. So ist man gerne dabei, wenn es darum geht, Probleme und Bedenken in Anschlag zu bringen – je näher einem die Position, desto unbarmherziger springt man mit ihr um. Natürlich entbehren diese Bedenken und Einwände nicht jeglicher Grundlage, nur könnte man sich doch zur Abwechslung einmal positiv auf etwas beziehen. Stattdessen dominiert die Negativ-Fixierung: Man überbietet sich gegenseitig darin, die jüngste, zweifellos desaströse Ausstellung der Chapman-Brüder in den Kunstwerken verbal zu vernichten. So berechtigt diese Kritik auch sein mag – sie ist ziemlich leicht zu haben. Wäre es nicht möglich, einfach nur lapidar festzustellen, dass diese Ausstellung nicht einmal der Rede wert ist? Und könnte man nicht auch den Arbeiten der KollegInnen mehr Wohlwollen entgegenbringen, ihnen gegenüber eine größere Gelassenheit an den Tag legen?
Tatsächlich scheint derzeit kein Anlass zur Gelassenheit zu bestehen – jedenfalls nicht in Berlin. Dies liegt zum einen daran, dass diese Stadt unausgesetzt mit der Phantasie arbeitet, es würde hier um etwas gehen. Von der daraus resultierenden Anspannung und Nervosität werden insbesondere die im Bereich der Kultur Tätigen ergriffen, was sich in einem erhöhten Konkurrenzdruck ausdrückt. Die Geschichte des Kunstmarkts hat immer wieder gezeigt, dass ein tatsächliches oder imaginiertes Anziehen der Konjunktur mit tendenziell eher angespannten bis zu verqueren sozialen Beziehungen einhergeht.
Andererseits ist die Konkurrenz in Berlin auch deshalb so ausgeprägt, weil viele glauben, dass es weniger zu verteilen gibt als anderswo. Der Einsatz ist hoch, und daran mag es liegen, dass mit Wissen und Informationen nicht gerade großzügig umgegangen wird. Kaum jemand äußerst sich offen darüber, woran er oder sie gerade arbeitet – man hält sich eher bedeckt. Es bedarf schon einer großen Disziplinierung, um von dieser tendenziell geheimniskrämerischen bis paranoiden Stimmung nicht mitgerissen zu werden. Freilich trägt niemand – keine einzelne Person – die Schuld an diesem ressentimentgeladenen Klima.
Ich würde in diesem Zusammenhang eher von einem Berlin-Effekt sprechen, der stärker ist, als jeder wohlmeinende Vorsatz von Einzelnen. Die hier beschriebenen Verhaltensmuster schreiben sich in jeden ein, wobei sie natürlich jeweils spezifische Ausformungen annehmen. Die Struktur des Ressentiments kennt eben kein Außerhalb, und abweichende Handlungsmöglichkeiten gibt es nur zu seinen Bedingungen. Deshalb wäre es geradezu vermessen, sich über diese Atmosphäre zu stellen oder sie aus der sicheren Distanz heraus beobachten zu wollen. Man ist sozusagen verwickelt und wird zum Träger dieser organisierten Missgunst, die einen spricht – auch wenn man anders zu sprechen sich vorgenommen hatte.
Für Nietzsche („Ecce Homo“) war das Gefühl des Ressentiments noch an Schwäche geknüpft, Ressentiments richten sich ihm zufolge immer an die Starken und Mächtigen. Dieses Modell des Ressentiments müsste in Berlin nun dahingehend modifiziert werden, dass sich Gleichschwache wechselseitig Überlegenheit und Vorteile unterstellen, über die sie faktisch nicht unbedingt verfügen. Gewöhnlich ist der Anteil an Projektionen bei Ressentiments nicht unerheblich. Dies heißt jedoch nicht, dass man sie als Hirngespinste abtun könnte. Denn die Herabsetzung dessen, was der andere tut, liegt häufig darin begründet, dass zuvor geltende Vereinbarungen aufgekündigt wurden.
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