: Ein Jurist im Dienste der Partei
Der PDS-Hardliner Michael Benjamin, Sohn der berüchtigten „roten Hilde“, ist im Alter von 67 Jahren gestorben
Er sah nicht so gut aus wie Sarah Wagenknecht, und auch die Klaviatur der westdeutschen Medien beherrschte er weitaus schlechter als die verspätete Doppelgängerin Rosa Luxemburgs. In die Schlagzeilen geriet Michael Benjamin, der zuletzt die Kommunistische Plattform im PDS-Parteivorstand vertrat, nur ein einziges Mal: Da hatte er in einem Interview den Bau der Mauer gerechtfertigt. „Sie war eine völkerrechtlich zulässige, zum damaligen Zeitpunkt erzwungene Maßnahme, die damals zur Entspannung in Mitteleuropa beitrug, wie auch viele westliche Beobachter zugestanden“, sagte der Jurist Benjamin. Das Unrecht, das die DDR beging, war für ihn nur eine Reaktion auf die westliche Aggression.
Nicht anders hatte seine Mutter Hilde Benjamin die harten Urteile gegen Regimegegner gerechtfertigt, die in ihren Verantwortungsbereich fielen. Von 1949 bis 1953 war sie Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs der DDR, anschließend amtierte sie bis 1967 als Justizministerin. In diesen Funktionen wurde die „rote Hilde“ zur Symbolfigur für die Zerschlagung einer unabhängigen Justiz. Über ihren Sohn Michael schrieb sie Anfang der Fünfzigerjahre: „Von meinem Verhältnis zu meinem Jungen kann ich wohl sagen, dass unsere stärkste Bindung in unserer Gemeinsamkeit in der Partei liegt.“ Michael Benjamins Vater, ein Bruder des Kulturphilosophen Walter Benjamin, war 1942 im Konzentrationslager Mauthausen ermordert worden.
Benjamin studierte zunächst Mathematik, trat aber nach vier Semestern doch noch in die Fußstapfen seiner Mutter. Anfang der Fünzigerjahre ging er nach Leningrad, um dort sozialistische Rechtswissenschaft zu studieren. Von 1957 bis zum Ende der DDR war er Mitarbeiter, später Professor an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften in Babelsberg. An der Kaderschmiede der DDR-Juristen verstand man unter „Staatsrecht“ jedoch etwas vollkommen anderes als im Westen. Nicht um die Beschränkung der Staatsgewalt ging es den Wissenschaftlern, sondern um deren Durchsetzung. Das Verwaltungsrecht galt als Ausdruck eines „bürgerlichen Rechtsformalismus“ und wurde folgerichtig abgeschafft.
Benjamin verstand seine Disziplin ohnehin als „Leitungswissenschaft“, die er später durch Vergleiche mit der westdeutschen „Verwaltungswissenschaft“ zu rechtfertigen suchte. In diesem Rahmen kamen auch seine mathematischen Grundkenntnisse wieder zur Anwendung: In einem hypertrophen Glauben an die Planbarkeit von gesellschaftlichen Prozessen, den es auch im Westen gab, publizierte er in den Sechziger- und Siebzigerjahren Bücher über „automatisierte Leitungssysteme“ oder „Die Kybernetik im Kampf gegen die Kriminalität“.
Nach dem Untergang der DDR engagierte sich Benjamin in der „Kommunistischen Plattform“ der PDS. Anders als Wagenknecht, die in jeder Talkshow auftrat, blieb der Altkommunist dem Westen gegenüber höchst misstrauisch. Auch bei der Garderobe gab es keine Kompromisse: Bei seinen öffentlichen Auftritten trug er nur selten Hemden, meist erschien er – ganz proletarisch – kragenlos im Pulli.
Erst im vergangenen Jahr wurde er in den PDS-Vorstand gewählt. Gleichwohl forderte ihn der scheidende Parteichef Lothar Bisky zuletzt wegen „Parteischädigung“ zum Austritt auf. Als bekannt wurde, dass Michael Benjamin am Montagabend im Alter von 67 Jahren an den Folgen einer Herzoperation gestorben ist, fiel Biskys Würdigung des Hardliners höchst reserviert aus: „Er hat den Pluralismus der PDS gelebt.“ RALPH BOLLMANN
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