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Der Bandit aus dem Wald

Gerne sieht sich Veerappan als indischer Robin Hood. Tatsächlich ist er eher berüchtigt als berühmt

Sein wichtigster Bundesgenosse ist der Wald. Der Dschungel am Nordhang der Nilgiri-Berge ist ein dünn besiedeltes Gelände von 18.000 Quadratkilometern, auf dem viele Sandelholzbäume wachsen. Hier ist Veerappan groß geworden. Schon mit zehn Jahren soll der heute über 50-Jährige seine Lehre als Sandelholz-Schmuggler begonnen haben. Die anderen Schmuggel-Clans seiner Padayachi-Kaste stach er aus, weil er nicht nur Beamte schmierte, sondern diese im Notfall auch niederschoss. Dann begann er im Stromgebiet des Cauvery Elefanten zu schießen. 2.000 Tiere mit einer Gang von 150 Mann. Das ergibt 40 Tonnen Elfenbein. Als der Handel damit verboten wurde verlegte der Bandit sich auf Kidnapping.

Doch auch der Urwald hätte Veerappan nicht behütet, hätte er nicht auf die Hilfe der Sholigars und Vadayachis zählen können. Er stiftete Geld für ihre Tempel, ließ an den Stammesfesten Massenmahlzeiten anrichten. Im Gegenzug wurde er über Suchtrupps informiert. Doch neben Bewunderung flößte der indische Robin Hood auch Furcht ein. Leute, die er als Informanten verdächtigte, ließ er in sein Dschungelversteck bringen und aß mit ihnen eine Versöhnungsmahlzeit – um sie dann eigenhändig zu erschießen und die Köpfe vor den Dörfern aufzuspießen. Mehr als die Hälfte der 119 Ermordeten, die ihm zur Last gelegt werden, stammten aus bettelarmen Urwalddörfern.

Aber auch Polizisten und Forstbeamte lockte Veerappan immer wieder in eine Falle. Er legte falsche Spuren und ließ die ihn verfolgenden Jeeps auf Landminen auffahren. Oder er inszenierte seine Selbstauslieferung, erschoss die Polizisten, die ihn abholen wollten, kaltblütig und ließ ihre Leichen dann in Säcke verpackt den Cauvery-Fluss hinuntertreiben. Je größer die staatlichen Einsatztrupps wurden, desto weniger ließ sich Veerappan fassen. Und er verhöhnte seine Verfolger noch, indem er immer wieder Kassetten zurückließ, auf denen er mit hölzerner Stimme seine jeweiligen Forderungen bekannt gab.

Eine solche fand man auch, nachdem Veerappan den Filmschauspieler Rajkumar entführt hatte. Die Kassette war für den Regierungschef von Karnataka bestimmt, der sofort nach Madras zu einer Krisensitzung mit seinem Amtskollegen aus Tamil Nadu flog. Der indische Innenminister ließ mehrere Bataillone Spezialtruppen nach Bangalore fliegen, um die Unruhen niederzuschlagen, die dort nach der Entführung des Filmidols ausgebrochen waren. Denn Rajkumar ist ein Filmgott, und ein Gott darf nicht sterben. Es sei denn, er hieße Veerappan.

BERNARD IMHASLY

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