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Ebbe am Anderen Ufer

Deutschlands erstes offen schwul-lesbisches Lokal, das „Andere Ufer“ in der Schöneberger Hauptstraße, ist geschlossen.David Bowie und Michel Foucault tranken hier Kaffee, junge Schwule und Lesben aber zieht es auf den Prenzlauer Berg

von MARTIN REICHERT

Den Burgfrieden im Prenzlauer Berg hat es bereits letztes Jahr erwischt, jetzt steht eine andere Lesben- und Schwulen-Institution vor dem Aus, diesmal im Westen: das „Andere Ufer“ in der Schöneberger Hauptstraße. Das Cafe war bei seiner Gründung 1977 eine echte Sensation: Es war das erste offen schwul-lesbische Lokal in Deutschland, wenn nicht gar Europa. Keine Klingel, kein Guckloch, stattdessen riesige Panoramascheiben. Ein Symbol für die beginnende Schwulenemanzipation: Statt sich immer nur im Schutz der Nacht in dunklen Etablissements zu treffen, konnte man von nun an Kaffee und Kuchen in aller Öffentlichkeit genießen, im Sommer sogar draußen auf der Straße sitzen.

Zum Gründungsmythos gehört unweigerlich auch David Bowie, der Ende der 70er-Jahre in Berlin wohnte und unter anderem an seinem „Heroes“-Album arbeitete: Nicht nur, dass er eine Zeit lang über dem Cafe gewohnt hat, er war auch ein gern gesehener Stammgast. Allerdings musste Bowie ebenfalls als Aufhänger für die anfängliche Kritik der „Homosexuellen Aktion Westberlin“ (HAW) am „Anderen Ufer“ herhalten. Der linksradikalen HAW war das Cafe nämlich viel zu kommerziell und galt zunächst als politisch nicht korrekt. Als man bei Bowie an der deutsch-niederländischen Grenze auch noch einen Band von Hitlers „Mein Kampf“ entdeckte, fühlten sich die Aktivisten bestätigt: In einem Lokal, in dem solche Leute verkehrten, könne man sich unmöglich aufhalten. Der Konflikt endete mit Glassplittern. Nicht irgendwelche Homophobiker, sondern radikale Schwulenaktivisten warfen die Scheiben ein.

Es dauerte jedoch nicht lange, dann kamen auch die schärfsten Kritiker nicht mehr um den Laden herum. Ob schwul oder lesbisch, wer dabei sein wollte, musste ins „Andere Ufer“, sogar Michel Foucault wurde dort gesichtet. In den 80er-Jahren wurde das „Andere Ufer“ endgültig zur Institution, gepriesen in sämtlichen Touristenführern. Der Schöneberger Schwulenkiez nutzte das Lokal als Wohnzimmer, hier konnte man sich auch mal vier Stunden an einem Milchkaffee festhalten. Das Schwuz war damals noch gleich um die Ecke, das „Andere Ufer“ der ideale Platz zum „Warm-up“. Langweilig wurde es nie, die Inneneinrichtung wechselte regelmäßig, das Lokal diente außerdem als Austellungsort. Der Künstler Salomé hat dort ausgestellt, lange bevor er bekannt wurde. Geschafft hatten das die wahren Heroes des Pionierladens, die Gründer und Besitzer Gerhard Hoffmann und Reinhard von der Marwitz, Letzterer verstarb in den 90ern an Aids. Die beiden aus München Zugereisten engagierten sich früh in der Schwulenbewegung. Tausendsassa Gerhard Hoffmann war schon vor seiner Karriere als Wirt recht aktiv: Der gelernte Politologe war unter anderem Mitbegründer der Schwuchtel, der ersten schwulenpolitischen Zeitschrift der Bundesrepublik. Hier wurde auch das „Rosa-Winkel-Abzeichen“ hergestellt und international vertrieben, das zum ersten Symbol der neuen Schwulenbewegung wurde. Ansonsten war er Lehrbeauftragter an der FU Berlin, hat einen Lyrikband veröffentlicht, in Filmen von Ulrike Ottinger mitgespielt und den „Albino-Verlag“ mitbegründet. Jetzt ist er viel in Schweden, den Laden hat Hoffmann 1998 an Markus Sambeth verkauft, man munkelt, äußerst gewinnbringend. Vielleicht war Hoffmanns Name wahrhaftig untrennbar mit dem „Anderen Ufer“ verbunden.

Die goldenen Zeiten des Ladens waren allerdings schon in den 90ern vorbei, nur die altgediente Stammkundschaft hielt noch lange die Treue. Junge Schwule und Lesben sind es mittlerweile gewohnt, ihren Kaffee in der Öffentlichkeit zu trinken, das „Andere Ufer“ ist für sie nichts besonderes mehr. Außerdem ist der Ostteil der Stadt inwischen interessanter als die Schöneberger Hauptstraße. Viele aus der alten Generation werden traurig sein, aber hingegangen ist auch keiner mehr.

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