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Wurst mit Leidenschaft

Die Bundesliga startet in die neue Saison. Der wahre Fußball rollt über den Dorfplatz

Die grätschenden, hörbar heftig schnaubenden Spieler wirkten vollkommen irreal

Natürlich, sagte der ältere Mann, müsse man sonntags, am Nachmittag, hinaus zum Fußballplatz gehen, wolle man richtigen Fußball sehen, Fußball, der mit Einsatz, mit dem dieser Sportart doch eigentümlichen Biss, mit, das könne man durchaus behaupten, Leidenschaft betrieben werde. Wenn die Leidenschaft fehle, brauche sich er, der Mann, ja gar keinen Fußball anzusehen, da könne er sonntags auch lieber gleich zu Hause bleiben und einen Sonntagnachmittagsfilm schauen, erklärte mir der Mann.

Am Rande des Dorfes lag der Platz des TSC. Hinter ihm erstreckten sich Äcker und Wiesen. Man blickte, über den gepflegten Rasen hinweg, gelehnt an rotes Geländer, auf eingestreute Kiefernwälder. 100, manchmal 200 Zuschauer säumten das Feld. Vor der Turnhalle des Sportkomplexes konnte man Bier, Helles, kaufen. Man grüßte, man plauderte, und man kannte die Aufstellung, weil sie der Trainer am Abend zuvor im Wirtshaus verraten hatte, sich aber nicht reinreden lassen wollte, dem Erwin Gscheitl mal eine Chance zu geben und dem seit Wochen völlig aus dem Tritt geratenen Frank eine Denkpause zu verordnen. Das würde wohl wieder nichts werden, war die verbreitete Meinung, der Abstieg sei schon zur Saisonmitte praktisch besiegelt. Selbst die Bruckdorfer hätten mehr Elan, mehr Pfiff. Wohin das führen solle. Seit ewigen Zeiten in der 4. Liga, und jetzt gehe es noch weiter hinab. Das werde nie mehr was, das könne man eigentlich vergessen und vor dem Anpfiff abhaken.

Diese Wurst schmecke besonders gut, sagte der Mann neben mir, die habe er noch gestern, am Samstag, kurz vor eins beim Metzger Neukam schnell geholt und dann daheim in den Kühlschrank gelegt, und seine Frau, sagte der Mann, die immer nach dem Geld schaue, habe ihm kurz vor dem Spiel die gekühlte, noch ganz frische Wurst hier zu diesem Weck in die Tüte gesteckt und mitgegeben, denn er könne zwar hier, auf dem Fußballplatz freilich auch sich eine Wurst kaufen und einen Weck, und wahrscheinlich stamme diese Fußballplatzwurst hier auch vom Neukam oder vom örtlichen Metzgerkonkurrenten Ströbel und schmecke daher so oder so nicht schlecht, aber ob diese Wurst vom Neukam geliefert worden sei oder eben, was er sich kaum vorstellen könne, vom Ströbel, das mache ihm, der sich seine Wurst von daheim mitbringe hierher zum Fußball, nichts aus, denn den Aufschlag von fünfzig Pfennigen müsse er beiden, Neukam und/oder Ströbel, wie auch immer, nicht in den Rachen schieben. Da sei es doch ein Leichtes, sich seine eigene Wurst, schön eingepackt in ein sauberes Butterbrotpapier und eine braune Papiertüte vom Bäcker Hammon, der sicherlich die wohl besten Weggla des ganzes Dorfes führe, sich diese für die erste Halbzeit vorgesehene Wurst selber mitzubringen, zur Stärkung, verstehe sich. Denn erwartungsgemäß beginne die Heimmannschaft immer recht stürmisch, komme gut über beide Flügel mit anfänglich, so die ersten zwanzig Minuten, präzisen Flanken, erarbeite sich etliche Chancen, auch wenn es mit dem glücklichen Abschluss meist nicht durchaus klappen wolle, und entlaste so den traditionell anfälligen, ja schwachen Viererabwehrblock, aber spätestens nach Wiederanpfiff gerate die ganze Mannschaft ins Schwimmen und wackele bedenklich, und dann müsse er, sagte der Mann, sich schon gestärkt haben, um das nervlich überhaupt durchzustehen. So eine Wurst, bis die ihre stärkende Wirkung entfalte, so eine Wurst müsse ja erst mal den angestammten Weg nehmen und verdaut werden, bis die wertvollen Inhaltsstoffe dieser sehr guten Wurst hier vom Neukam wirkten und er die Strapazen der zweiten Hälfte auch ertrage.

Nun rannte sich der Neumeister Bernd bei einem der TSC-Angriffe fest, und die Schwabacher drückten. Die grätschenden, hörbar heftig schnaubenden Spieler wirkten vollkommen irreal, überwirklich greifbar. Sie riefen Kommandos, und jeder konnte sie hören. Auch riefen Zuschauer Ratschläge auf den Platz herein, und bisweilen blickte einer der TSC-Männer in die Richtung besonders lauter Hereinrufer.

Keeper Welland rettete in höchster Not. Das Dorf schrie, klagte und schimpfte, die Männer aus meiner näheren Umgebung schwitzten, fluchten und winkten ab. Viel Bier wurde schon jetzt, kurz nach vier, getrunken, zur Kühlung der erhitzten Gemüter, und der Zapfer mit der grünen Lederschürze machte einen zufriedenen Eindruck und gab jedem Käufer seines Bieres ein paar aufmunternde, tröstende Worte mit, noch sei das Spiel ja nicht zu Ende, und in zwei Wochen, die Hersbrucker, die werde man sicher wegputzen und dann wieder hinaufklettern in der Tabelle. So der Bierzapfer am Rande des Fußballplatzes.

Wenn es denn beim Nullnull bliebe, könne und müsse man zufrieden sein, sagte der Mann neben mir. Jetzt wolle er sich eine zweite Wurst gönnen und diese rasch verputzen, ausnahmsweise, sagte der Mann und ging hinüber zur mobilen Wurstbraterei, die auch kalte Bratwurst feilbot. JÜRGEN ROTH

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