: Der Tod schaut zu
Die Fotografin Lucinda Devlin beschäftigt sich mit Orten, an denen Öffentlichkeit auseinander fällt. Dazu gehören auch die Hinrichtungszellen in US-Gefängnissen, die im Berliner daad gezeigt werden
von HARALD FRICKE
Am Anfang hatte sie einfach nur Angst. Als das Tor des „Greenhaven“-Gefängnisses in New York State hinter ihr zuging und Lucinda Devlin zum ersten Mal realisierte, dass sie sich in einem Hochsicherheitstrakt befand. Bis dahin hatte die damals 44-jährige Fotografin noch keine lebenslang Inhaftierten getroffen, keine Todeszellenkandidaten, und sie hatte auch noch keinen Raum von innen gesehen, in dem zum Tode Verurteilte hingerichtet werden. Nun war sie Teil des Systems, mit eingeschlossen und zugleich Eindringling in eine fremde Welt, die sie jederzeit wieder verlassen konnte – eine, wie sie später feststellte und wie man unschwer auf ihren Fotos erkennen kann, ebenso erschreckende und groteske Situation.
Tatsächlich erinnert die nervöse Selbstwahrnehmung von Devlin an frühe ethnologische Berichte oder andere Erzählungen, die ins Herz der Finsternis führen. Devlin hat ihr Statement für eine Werbekampagne von Benetton aufgeschrieben, in der ein Foto ihrer 1991/92 entstandenen Serie „The Omega Suites“ erschien (www.benetton.com). Mittlerweile ist die 30-teilige Arbeit in Washington, Essen und Edinburgh, in Japan und Österreich gezeigt worden. In der Ausstellung „Evidence of Death“ (1994) brachte sie neben den „Morgue“-Fotos von Andres Serrano den Beweis für die Unhintergehbarkeit des Todes; und im Zeit-Magazin begleiteten die Bilder 1998 als Farbstrecke einen Essay über die Unmenschlichkeit der Todesstrafe.
In der Berliner daad-Galerie dokumentieren Devlins Fotos, dass Kunst gerade wegen ihres ganz eigenen visuellen Zugangs selbst komplizierteste gesellschaftliche Realitäten vermitteln kann. Immerhin sind alle Argumente bekannt: Keine Diskussion in den USA wird so unerbittlich und scheinbar hoffnungslos geführt wie die Frage nach der Abschaffung der Todesstrafe. Für jeden Gegner dürften Devlins Dokumentaraufnahmen von Hinrichtungsstätten quer durch die US-Staaten genügend Material liefern. Die aseptischen Räume, das grässlich funktionale Mobiliar, selbst die Details vom Lederriemen bis zum abwischbaren Fußboden sind Indizien dafür, dass hier Menschen von Menschen getötet werden, die das Töten wie ein Ritual inszenieren – als symbolischen Akt, mit dem sie sich gleichfalls der Verantwortlichkeit für ihre Tat zu entziehen versuchen. Das perfekte Arrangement der Geräte, das klinische Ambiente soll über die moralische Fragwürdigkeit hinwegtäuschen: Seht her, es ist die Maschine, die tötet. Deshalb hat Ulf Erdmann Ziegler von einem „Hinrichtungskino“ geschrieben, das Devlins Fotos illustrieren. In diesem makabren Vergleich klingt das blutige Spektakel der Enthauptungen während der Französischen Revolution an. Doch selbst im 20. Jahrhundert wurden Exekutionen in den USA noch für die Massen zelebriert: In den Südstaaten kursierten bis in die 50er-Jahre Souvenirpostkarten von Lynchmorden an Afroamerikanern.
Heute passen Exekutionen nicht mehr ins Bild einer demokratischen Nation, auch wenn sie von ihren höchsten Repräsentanten – zuletzt in Texas durch Gouverneur George Bush jr. – permanent legitimiert werden. Devlin nimmt diesen Widerspruch nicht weiter auf, etwa durch eine visuelle Aufarbeitung der katastrophalen Zustände im US-Strafvollzug, wie sie Mike Davis in seinem Buch „Casino Zombies“ schildert. Stattdessen verlagert die Fotografin den Konflikt auf die Ebene eines institutionellen Alltags, der in anonymen Todeszellen abgewickelt wird. Zusätzlich zu „The Omega Suites“ hängen Fotos aus, die Devlin während ihres Deutschland-Aufenthalt gemacht hat – Interieurs aus Kurbädern und Massageräumen von Luxushotels ergänzen die US-amerikanischen Kammern, in denen Menschen umgebracht werden, wenn es das Gesetz zulässt. Dabei hat sich Devlin schon in den 80er-Jahren mit Schauplätzen beschäftigt, deren Öffentlichkeit in diffuse soziale Beziehungen zerfällt: Diskotheken, Kliniken, Oben-ohne-Bars.
All diese Orte bleiben bei Devlin menschenleer. Sie sind nicht Zeugnis zwischenmenschlicher Begegnung, sondern Zeichen für den Verlust jeglicher Kommunikation. Dieses Debakel wird mit den „Omega Suites“ noch verstärkt: Wer die Zellen betritt, ist von der Gesellschaft bereits Minuten vor dem Vollzug der Todesstrafe abgetrennt, er hat sein Recht auf Zugehörigkeit längst verwirkt, ehe ihm zuletzt auch das Recht zu leben aberkannt wird. Vor dem Sterben kommt der Ausschluss, das ist die entsetzliche Konsequenz der US-Gesetzgebung, den die stets gleichformatigen Fotoquadrate kalt und erbarmungslos vorführen: Devlin seziert nicht das Urteil, aber den Rahmen, in dem sich dessen Vollstreckung bewegt. Dabei zögert sie genau diesen Moment, an dem sich die Gesellschaft von ihren Grundwerten verabschiedet, für den Betrachter unendlich hinaus. Indem er auf elektrische Stühle, Gaskammern und Räume mit Betten für die finale Giftspritze starrt, ist er selbst in das System des Ausschlusses eingeschlossen.
Nun ist Fotografie aber nicht bloß ein Abbild von Wirklichkeit, sie strukturiert auch, wie Wirklichkeit wahrgenommen wird. Eben weil es Devlin um Präzision geht, entsteht eine merkwürdige Kluft zwischen der dichten Darstellung einzelner Situationen und der Atmosphäre, die sie mit ihrer streng geometrischen Abfolge in toto erzeugt. So korrespondiert die frontale Sicht auf die Mordinstrumente, die thronartig exponierten „Electric Chairs“ oder die kalt schimmernde Beleuchtung, die auf dem matten Fotopapier noch hervorgehoben wird, durchaus mit dem mitleidslosen Vollzug der Strafe. Letztlich ist der Tötungsapparat für Devlin ein gespenstisch irrationales Phänomen: Es schreckt nicht einmal ab, weil Mörder ihrer Meinung nach fast immer aus „Leidenschaft“, also ohne Vernunft, handeln. Vielleicht sind die Todestrakte jedoch selbst schon Ausdruck einer tiefen, dunklen Leidenschaft, für die die US-Gesellschaft dieses letzte Ritual der Reinigung bereithält. Mit Zivilisation hat das wenig zu tun, aber sehr viel mit Mythen – und damit auch mit Bildern.
Bis 17. 9., daad-Galerie, Berlin. Der Katalog „Lucinda Devlin. The Omega Suites“ mit einem Vorwort von Barbara Rose ist im Steidl Verlag erschienen und kostet 39 Mark.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen