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Das schlaue Haus denkt mit

Science-Fiction wird Realität: Ganz im Norden von Berlin entsteht eine „Online-Siedlung“. Mit diesem Zauberwort lassen sich Reihenhäuser besser an die breite Mittelschicht vertickern. Denn die Technik schützt vor Einbrechern und Milchknappheit

von NICOLA HOCHKEPPEL

Trotz Wasserwaage, Zwingklemmen und vereinter Kräfte steht der neue Briefkasten von Familie Stier schief. Von vorne sieht man es nicht direkt, aber wenn Frau Stier den Abstand zur Hausfassade nachmisst, dann differieren die Kanten um Millimeter. Und das muss ja nicht sein, deshalb wird weiter justiert.

Familie Stier war die erste hier im Musikeviertel, der neuen Reihenhaussiedlung hinter der Kfz-Prüfstelle in Niederschönhausen. Momentan stehen die beiden gelben Reihenhausblöcke Spalier und geben den Blick auf eine große Baustelle frei. Insgesamt 114 komfortable Wohneinheiten sollen entstehen. Gebaut werden die Häuschen jedoch erst nach Verkauf. Denn der Wohnungsmarkt hat sich sehr entspannt. Bauunternehmen müssen sich neue Verkaufsargumente ausdenken – zum Beispiel das Zauberwort „Online“.

Vor zwei Wochen sind die Stiers in die so genannte Online-Siedlung gezogen und haben sich den Traum vom Eigenheim erfüllt. Es ist also nicht irgendein gelbes Haus mit Gärtchen, es ist ein intelligentes Haus.

Und weil intelligente Reihenhäuser mitdenken, verbessern sie die Wohnqualität und steigern die Sicherheit und Flexibilität ihrer Eigentümer. So skizziert es zumindest Jan Voglmaier. Er arbeitet bei Siemens und ist dort für die Installationstechnik „instabus“ zuständig.

Sonne reguliert Heizung

Diese Technik wird bereits seit zehn Jahren in Büro- und Zweckbauten eingesetzt und vernetzt Elektrogeräte. So reagieren Sensoren etwa an den Außenwänden der Bürohochhäuser „Treptowers“ auf Sonnenbestrahlung und aktivieren die Jalousien oder regulieren die Heizungen. Das hat ökonomische und ökologische Vorteile.

Zunehmend wird die Technik von Bauunternehmen auch für den privaten Wohnungs- und Hausbau verwendet. Die Busleitungen – einfache zweiadrige Kabel – werden mit der konventionellen Stromleitung in den Kabelschlitzen versenkt und können dann – auf Wunsch und je nach Vorliebe der Hauseigentümer – Geräte und Anlagen wie Heizung, Beleuchtung oder Belüftung aufeinander abstimmen.

Ohne großen Mehraufwand lässt sich dann auch der viel zitierte Kühlschrank, der nach Ablauf der Verfallsfrist neue Milch nachbestellt, anschließen und nutzen. Sofern man über einen Online-Anschluss verfügt und den Home-Assistant, die systemeigene Software, installiert und programmiert hat. Das kostet dann noch einmal zwischen 2.000 und 8.000 Mark, je nach Leistungsbaustein.

Die von Siemens entwickelte Software Home-Assistant basiert auf Windows und ist übersichtlich und benutzerfreundlich gestaltet. Lichtstimmungen, wie etwa Lese-, Kuschel- oder Arbeitsbeleuchtung, können einfach über den Touchscreen eingerichtet und mittels normalen Lichtschaltern aktiviert werden. Zahlreiche Weiße-Ware-Geräte, also Wasch- und Spülmaschinen, Durchlauferhitzer und Tiefkühltruhen, werden bereits „instabus EIB“-fähig produziert und können mit der mitgelieferten CD-ROM in das Programm eingelesen werden. So entfällt das lästige oder gruselige In-den-Keller-Gehen, um nachzusehen, ob die Waschmaschine schon durchgelaufen ist.

Im Pankower Musikeviertel verkauft das Bauunternehmen Süba die intelligenten 120-Quadratmeter-Häuschen für rund 400.000 Mark. Inklusive standardisiertem Basispaket „Rolladen-Licht-Alarm“. Der Touchscreen kostet extra.

Damit fühlt Frau Stier sich in ihrem Eigenheim jetzt sicherer. Verlässt sie das Haus, drückt sie an der Eingangstür den „Zentralausfunktions“-Schalter. Automatisch erlischt das Licht – sofern programmiert –, die Rolläden schließen sich – sofern programmiert–, und die Fensterriegelkontakte werden aktiviert. Auf dem angeschlossenen Display sieht Stier, welche Fenster noch geöffnet sind. Sie könnte auch das Garagentor öffnen, wenn sie denn eins hätte.

Wird während ihrer Abwesenheit ein Fenster geöffnet und der Riegelkontakt unterbrochen, reagiert die Busleitung. Das Alarmtelefongerät ruft die eingegebenen Nummern an, also entweder sie selbst, ihren Mann oder den Wachschutz.

Fernschaltung fürs TV

Per Mobiltelefon können vom Büro aus Rolläden oder Heizung aktiviert werden. Dann ist es daheim bereits mollig warm, wenn man mal früher von der Arbeit nach Hause kommt. Gleiches gilt für den Klassiker aller Fragen, ob die Kaffeemaschine noch an ist oder nicht. Via Mobiltelefon können vordefinierte Steckdosen aus der Ferne überprüft und gesteuert werden. Und wenn Mama und Papa nachts mal unterwegs sind, könnte dem Nachwuchs auch die Glotze abgeschaltet werden.

Die „Panikschaltung“, ein Schalter, der meist neben dem Bett angebracht ist und auf Knopfdruck das gesamte Haus erhellt und Polizei oder Rettungsdienste alarmiert, erweckt zunächst den Eindruck einer besseren Fernkontroll- und Alarmanlage. Die modulare Anlage ist aber extrem ausbaufähig. Dann wird der Touchscreen in der Küche Wirklichkeit. Der Herd reinigt sich selbsttätig oder heizt für das Rezept aus dem Netz automatisch auf die erforderliche Temperatur vor.

Bis dieses Szenarium zur Standardausstattung wird, braucht es wohl noch einige Jahre. Immerhin wissen die Stiers schon um die besondere Installationstechnik in ihrer Reihenhaussiedlung.

Bei der ersten „Online- Siedlung“, dem Blumenwinkel in Weißensee, wusste das Bauunternehmen Süba anscheinend noch nicht um das Marketing- und Marktpotenzial ihrer Bauweise. Die dortigen „Stadtvillen“ wurde noch mit den herkömmlichen Attributen wie „großzügig angeordnet“ und „gepflegt“ angepriesen. So kennen die meisten Hausbesitzer in Blumenwinkel die Intelligenz ihrer Eigenheime nicht.

Und während die Bewohner vom Musikeviertel ihre Spülmaschinen bereits fernsteuern können, waschen die Bewohner von Blumenwinkel immer noch selbst ab.

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