piwik no script img

Weltmusik vom Kopf auf die Füße gestellt

■ Gänzlich unauthentisch: Der kubanische Pianist Omar Sosa lässt sämtliche Hochsprachen Europas aufeinanderprallen und ist auch sonst respektlos

Die taz ist nicht die Morgenpost, machen wir's also ruhig kompliziert. Um zu erklären, warum Omar Sosas Musik eigentlich blöd sein müsste, es aber dann doch nicht ist, sollte man mit einer sehr genauen Begriffsklärung anfangen: Bei dem Wort „Weltmusik“, so denke zumindest ich, müsste es sich eigentlich um einen Musikstil handeln, der auf der ganzen Welt gleichermaßen populär ist, der nicht einer bestimmten Kultur zuzuordnen ist, sondern dem ganzen Globus.

Was könnte das sein? So einiges: Michael Jackson, Madonna, die Rolling Stones, womöglich Helmut Lotti, jedenfalls niemals das, was man in den Plattengeschäften dieses Erdenkloßes unter „Weltmusik“ bzw. „World Music“ einsortiert findet. Das ist nämlich das genaue Gegenteil: Musik aus einem lokal und historisch eingegrenzten Kulturkreis, die selbst in ihrem Heimatland, und das ohne Protektion, nur eingeschränkte Überlebenschancen hat und im Rest der Welt nur einen klitzekleinen Zirkel von Bewunderern.

Nun hat sich weniger unter den Musikern als unter den Anhängern und Verkäufern dieser heillos sich voneinander unterscheidenden, ja in der Distinktion überhaupt zu ihrer Stärke gekommenen Stile eine irre Solidaritätsidee verbreitet. Die legt es nach dem Motto „You and me against the world“ – alle unterprivilegierten musikalischen Volkskünste des Planeten gegen die verderbte, böse Plattenindus-trie – darauf an, alle Musikkulturen miteinander in Verbindung zu setzen, die seit Jahrhunderten in irgendwelchen in sich abgeschlossenen Erdwinkeln leben Die Konsequenz aus diesem Gedanken hieße womöglich: Madonna, Michael Jackson, Rolling Stones, Helmut Lotti. Stattdessen wird der Planet überschwemmt mit Samba-Reggae-House, Polka-Salsa-Dub und Fusion-Blasmusik-HipHop. In der Folge entstanden in den letzten Jahren einige der albernsten Platten aller Zeiten, solche, mit denen verglichen zu werden sich noch nichtmal Helmut Lotti scheuen müsste.

Dann kommt ein kubanischer Pianist mit Rasta-Locken daher, der in Barcelona lebt und in Ecuador arbeitet, und lässt auf seinen Platten sämtliche europäischen Hochsprachen aufeinanderprallen, als wäre die tägliche Arbeit der EU-Bürokratie in Brüssel eine nicht endenwollende Party – und dann tritt jene seltene Situation ein, dass ein blödes Konzept dennoch funktioniert. „Against all odds“, wie der Glücksspieler sagt.

Omar Sosas aktuelles Album Bembon lässt einen staunen: Wieviel außergewöhnliche Musiker will diese Karibikinsel denn noch hervorbringen? Relativ respektlos und ohne Sinn für Ordnung reiht er Son, HipHop, Pop und Bop aneinander und es erscheint dennoch meistens Sinn zu ergeben. Auch wenn einem die Fülle musikalischer Ideen gelegentlich fast Angst machen könnte. Aber das ist womöglich eine logische künstlerische Reaktion in Zeiten der Überinformation. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, ein neues Problem anzugehen: die überinformierte Musik. Aber dann wird's erst richtig kompliziert. Detlef Diederichsen

heute, 21 Uhr, Fabrik

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen