: Schmerzensgeld und Rente für Noël Martin
Überraschendes Urteil am Landgericht Potsdam: Opfer rassistischen Übergriffs bekommt eine halbe Million Mark Schmerzensgeld und Rente
Der seit einem ausländerfeindlichen Anschlag in Mahlow gelähmte britische Bauarbeiter Noël Martin wird eine halbe Million Mark Schmerzensgeld sowie eine monatliche Rente von 1.000 Mark bekommen – rückwirkend zum 1. Juli 1996. Seitdem ist er infolge einer Verfolgungsjagd querschnittsgelähmt. Dieses Urteil verkündete gestern das Potsdamer Landgericht im Zivilprozess gegen die beiden Täter.
Im Dezember 1996 waren die damals 24 und 18 Jahre alten Täter zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Nach Überzeugung der Richter hatten sie in einem gestohlenen Wagen das Auto des Briten verfolgt, der zusammen mit zwei weiteren schwarzen Engländern auf dem Weg zu einer neuen Baustelle war. Einer der Täter hatte beim Überholen einen Stein auf Martins Fahrzeug geworfen, woraufhin dieser gegen einen Baum prallte. Die Beklagten indes bestreiten, dass der Steinwurf in einem kausalen Zusammenhang mit dem Unfall stehe. Einer der Täter, der wegen guter Führung nach zwei Dritteln der Haftzeit entlassen wurde, hatte ein an Zynismus kaum zu überbietendes Angebot gemacht: Er erklärte sich bereit, 400 Mark für die zerbrochene Autoscheibe zu zahlen.
Besonders überraschend war gestern, dass die Richter der Argumentation von Martins Anwalt, Volker Ratzmann, folgten. Dieser will die Haftpflichtversicherung des Wagens, mit dem die Jugendlichen Martin verfolgt hatten, in die Pflicht nehmen. „Die Versicherung haftet dem Grunde nach für alle materiellen Schäden“, so Ratzmann. Der Anwalt ist sicher, dass sowohl die Versicherung als auch die Beklagten Widerspruch einlegen werden. Doch eins steht jetzt schon fest: „Das ist ein klares Zeichen, dass mit der Strafverfolgung nicht alles vorbei ist.“
Nur wenige Stunden vor der überraschenden Gerichtsentscheidung wurde in Mahlow erneut ein Ausländer angegriffen. Nachdem es nach dem Übergriff auf Martin immer wieder zu Angriffen gegen Ausländer gekommen ist, wurde am Donnerstagmorgen ein 28-jähriger Angolaner, Mitarbeiter der Deutschen Bahn, während seiner Arbeit zweimal hintereinander von rechten Jugendlichen angegriffen. In Mahlow beschimpfte ihn eine Gruppe von sieben Jugendlichen mit den Worten „Du hast keinen Platz in Deutschland“. Einer der Täter entriss ihm seine Arbeitstasche, schlug ihm mit der Faust auf den Kopf und trat ihn. Nachdem die Jugendlichen mit der S-Bahn weggefahren waren, begab sich der Bahnmitarbeiter ebenfalls mit der Bahn nach Blankenfelde, um weitere Züge zu reinigen. Dort traf er auf zwei Jugendliche der Gruppe, die ihn erneut attackierten. Ein Zugführer kam ihm zwar zu Hilfe und zog ihn in sein Fahrerabteil. Die Bahnpolizei jedoch informierte der Angolaner selbst, nachdem er mit der Bahn zurück nach Berlin gefahren war. Die örtliche Polizei nahm den mutmaßlichen Haupttäter und einen Mittäter fest. Die beiden alkoholisierten Jugendlichen stammen aus Blankenfelde und dem Landkreis Havelland und sind der Polizei bekannt, jedoch nicht vorbestraft. Nach Angaben der Polizei wurde der Angolaner am Ohr verletzt und litt unter Schmerzen am Rücken und an den Beinen. Er begab sich in ambulante ärztliche Behandlung. Der Staatsschutz ermittelt.
WAHN/MS
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