Der „Kursk“ geht heute die Luft aus

Die Rettung der 118 eingeschlossenen russischen U-Boot-Matrosen lässt trotz anlaufender internationaler Hilfe auf sich warten. Wachsende Kritik an Präsident Wladimir Putin und an den verspäteten Hilfeersuchen der russischen Behörden

von BARBARA OERTEL

Die Zeit der Beschwichtigungen scheint in Moskau endgültig vorbei zu sein. Die Lage in dem am vergangenen Wochenende in der Barentssee havarierten Atom-U-Bootes „Kursk“ sei „nahe an einer Katastrophe“, sagte gestern Russlands Ministerpräsident Michail Kasjanow. In der Nacht zuvor war ein weiterer Versuch gescheitert, eine Taucherglocke zu dem U-Boot hinabzulassen und anzudocken.

Gestern warteten die Retter weiter auf Klopfsignale der Besatzung. Diese habe es seit Mittwoch nicht mehr gegeben, sagte der Sprecher der russischen Marine, Igor Dygalo, im Fernsehsender NTW. Die Rettungsmannschaften hätten weiter keine Angaben, wie es im Inneren des gesunkenen Bootes aussehe. Es sei auch unklar, ob die Notversorgungssysteme für Sauerstoff funktionierten. Nach Expertenschätzungen reicht der Sauerstoff für die 118 Mann Besatzung nur bis heute.

Die letzten Hoffnungen, die Besatzung doch noch zu retten, richteten sich jetzt auf westliche Hilfe. Ein Rettungsteam der britischen Marine verließ gestern den norwegischen Hafen Trondheim. An Bord eines Transport-schiffes befand sich das Mini-U-Boot vom Typ „LR5“. Die „LR5“ kann im Gegensatz zu russischen Rettungskapseln unabhängig von Mutterschiffen operieren und soll auch in der Lage sein, an der schräg im Wasser liegenden „Kursk“ anzudocken. Mit einem Einsatz der „LR5“ wird nicht vor Samstag gerechnet. Norwegen entsandte ein Team von zwölf bis 15 Spezialtauchern, die die Briten unterstützen sollen und ebenfalls am Samstag erwartet werden.

Diese Aktionen hätten schon früher anlaufen können. Jedoch hatte Russland erst am Mittwoch internationale Hilfe angefordert. Dazu habe sich Putin nach einem Telefonat mit US-Präsident Bill Clinton entschieden, sagte der stellvertretende Generalstabschef der Marine, Wladislaw Iljin, dem Fernsehsender RTR.

Gestern Mittag trafen russische Regierungs- und Marinevertreter in Seweromorsk zu Beratungen über die Ursache des Unglücks zusammen. Nach russischen Angaben gab es vermutlich eine Explosion in der vorderen Torpedokammer. Die Reaktoren des atomgetriebenen U-Boots wurden daraufhin abgeschaltet. Demnach warten die Seeleute wahrscheinlich ohne Strom in eisiger Kälte und in völliger Dunkelheit in dem Schiff in rund 100 Metern Tiefe auf die Rettung.

Unterdessen wird die Kritik an Russlands Präsident Wladimir Putin in Zusammenhang mit dem U-Boot-Unglück immer lauter. „Man kann Putin wirklich nur um seine Nerven beneiden“, schrieb der Moskowski Komsomolez. Es sei zwar nicht bekannt, wann Putin über die Havarie unterrichtet worden sei, er habe jedoch erst Mittwoch offiziell Stellung genommen.

Die Tageszeitung Iswestja befand, das U-Boot-Desaster habe erneut gezeigt, dass Russland unfähig sei, mit Krisensituationen umzugehen. Die Veranwortlichen seien mehr damit beschäftigt, ihr Gesicht zu wahren, statt Leben zu retten.