Ab in die niedersächsische Wildnis

■ Früher tanzten hier vielleicht mal Elfen, dann zerstörte der Torfabbau die Moorflächen / Heute ist es hier so, wie Wildnisliebhaber es sich wünschen: ungestörte Natur

Deutschland. Glatt gestriegeltes, aufgeräumtes Land. Hier stehen die Fichtenforste stramm. Hier wird der Vorgarten mit der Nagelschere getrimmt. Wildnis? Gibt's hier nicht – höchstens am Amazonas oder als Definiton: Wildnis, die Abwesenheit menschlicher Ordnung.

Der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) will jetzt das Gegenteil beweisen, will zeigen, dass unberührte urwüchsige Natur auch in Deutschland möglich ist. „Wildnis in Deutschland“, heißt deshalb eine Kampagne, mit dem Ziel, ökologisch wertvolle Gebiete aufzukaufen, als Wildnisflächen zu erhalten oder neu auszuweisen.

Und die gibt's auch vor unserer Haustür. Rund eine Autostunde von Bremen entfernt, eingezwängt zwischen Kuhweiden und Maisfeldern, findet sich ein Fleckchen Erde, wo Mutter Natur noch schaltet und waltet, wie es ihr gefällt. Das Neustädter Moor. In mitten von urwüchsigen Birkenwäldchen liegen dort verwunschene Tümpel, aus denen, wie Knochen, abgestorbene Baumstümpfe ragen. Daneben spannen sich schwammige Pflanzenteppiche, baumlose, grüngelblich schimmernde Ebenen, bis zum Horizont. Hier ist noch Platz für Phantasie, Feen und Elfen scheinen hier noch früh morgens über die nebelbedeckte Heide zu tanzen.

„Das war nicht immer so“, erinnert sich Friedhelm Niemeyer vom BUND. Durch Jahrzehnte langen Torfabbau wurden die wertvollen Moorflächen weitestgehend zerstört. Mit dramatischen Folgen. Denn das Moor ist nicht nur Heimat seltener, zum Teil vom Aussterben bedrohter Tiere und Pflanzen, wie zum Beispiel dem Moorfrosch oder dem insektenfressenden Sonnetau. Moore tragen außerdem erheblich zum Klimaschutz bei. „Ihre Böden binden mehr Kohlenstoff als die tropischen Regenwälder“, erklärt Niemeyer. Bei der Trockenlegung entsteht jedoch durch Torfzersetzung Kohlendioxid – mit der Folge, dass „gigantische Mengen Treibhausgas in die Atmosphäre entweichen“.

Dies haben auch die Behörden erkannt. Um die verbliebenen Moorflächen zu schützen, kaufte der Diepholzer Landkreis mit Hilfe des Bundesumweltministeriums 702 Hektar Moorfläche (über 1.200 Fußballfelder) und stellte sie unter Naturschutz. „Viele wichtige Verbindungsstücke befinden sich aber immer noch in privater Hand“, so Niemeyer. „Diese wollen wir kaufen und renaturieren.“ Doch das ist nicht billig: Die Fläche von insgesamt 16 Hektar werden den BUND rund 100.000 Mark kosten. „Beträge, die für uns schwer zu beschaffen sind.“ Mit dem Projekt „Wildnis in Deutschland“, zu dem neben dem Neustädter Moor noch sechs weitere Gebiete in ganz Deutschland zählen, hoffen die Naturschützer die Bevölkerung für Wildnis begeistern und zu Spenden bewegen zu können.

Doch mit dem Kauf allein ist es nicht getan. Durch den Eingriff des Menschen wurden die Ökosysteme so auf den Kopf gestellt, dass die Natur nicht mehr in der Lage ist, sich selbst zu helfen. „Die Voraussetzungen dafür müssen wir erst schaffen“. Zum Teil durch mühselige Maßnahmen. Abgetorfte Flächen werden eingeebnet, Entwässerungsgräben geschlossen oder aufgestaut. „Hauptziel ist es, den Wasserspiegel im Moor zu erhöhen.“ Deswegen geht es auch den Bäumen an den Kragen. „In einer natürlichen Hochmoorlandschaft haben die nichts zu suchen“, erklärt Niemeyer. Denn Gehölze wie Moorbirke und Fichte, sind wahre „Wasserdiebe“, senken durch ihre starke Verdunstung den Moorwasserspiegel. Zudem unterdrücken sie durch Schatten und Laubfall die lichtliebenden Moorpflanzen, wie Torfmoos und Wollgras.

Durch die Bemühungen der Naturschützer ist es gelungen, rund ein Achtel der insgesamt 1.600 Hektargroßen Moorfläche zu verwildern. Die Natur kann dort machen was sie will. Für den Menschen heißt das allerdings: Zutritt nur auf angrenzenden Wegen! Damit wir Ordnungsfreaks aber auch dem Ruf der Wildnis folgen können, bietet der BUND Führungen an. Wer lieber allein unterwegs ist, kann vom Beobachtungsturm oder auf angelegten Wegen den Blick in die Wildnis wagen.

Silke Katenkamp

Infos gibt's beim BUND im Neustädter Moor unter Tel. 05774 371, Anfahrt über die B61 nach Sulingen. dann Richtung Varrel und Ströhen