: Wachsen, fressen, killen
Auch wenn sie inzwischen ein bisschen altmodisch wirken: Tier-Horrorfilme sind nicht kleinzukriegen. Auf dem Fantasy Filmfest hat das krabbelnde, würgende, stechende Getier einige hübsche Auftritte
von ANDREAS BUSCHE
Eine wirklich bemerkenswerte Randerscheinung des diesjährigen Fantasy Filmfests ist der Themenblock „Revenge of the B-Movies“. Weniger aus filmhistorischen oder cineastischen Gründen, sondern einfach aus der irgendwie beruhigenden Erkenntnis heraus, dass sich manche Dinge einfach nie ändern werden. Das Tier als blutrünstiger Menschenjäger und quasi-ökologische Bestrafungsinstanz (bzw. die Konfrontation Mensch/Natur, Psyche/Unterbewusstsein etc.) zieht sich durch die gesamte Geschichte des Horrorfilms. Nicht einmal durch das Aufkommen von Teen-Killern wie Michael Myers, Jason und Freddie ließ es sich Ende der 70er-Jahre vertreiben.
Doch spätestens mit der Modeerscheinung einer amerikanischen Psycho-Killer-Subkultur wurden Tiere im Horrorfilm zu einem netten Anachronismus. In den 80ern lieferte das Fernsehen das alltägliche Grauen so plastisch wie nie zuvor, und die exploitativ-verspielten Boulevardmagazine schlachteten jeden neuen Massenmörder, Kinderschänder und Serienkiller quasi in Echtzeit aus. Wer brauchte da noch Haie und Krokodile, wenn das Grauen auch einen Namen bekommen konnte und obendrein noch nebenan wohnte?
Die jüngste Welle von Tier-Horrorfilmen ist also nichts anderes als bloße Nostalgie, eine liebevolle Hommage junger Fans, die den Boom des Tier-Horrorfilms Ende der 70er, Anfang der 80er wahrscheinlich nur noch vom Hörensagen kennen. Vom kommerziellen Standpunkt aus ist mit solchen Tiersfilmen heute kein Land mehr zu gewinnen. Filme wie „Komodo“ (erstmals: der Waran von seiner hässlichsten Seite!), „They nest“ (auch nett: Kakerlaken) oder „Spiders“, die beim Fantasy Filmfest ihre Europa- und Weltpremieren erleben, bestehen ähnlich wie die Scream-Trilogie nur noch aus zitathaften Versatzstücken einer inzwischen versteinerten Genregeschichte. „Crocodile“, die Tier-Horror-Premiere des „Texas Chainsaw Massacre“-Regisseurs Tobe Hooper und die amerikanische Produktion „Octopus“ brechen sogar quer durch alle (Sub-) Genres: Während Hooper den klassischen Beißerfilm mit dem 90er-typischen Teenage-Angst-Movie kombiniert, bedient sich „Octopus“-Regisseur John Eyres gleich bei Elementen des Terroristen-, Agenten-, Katastrophen- und Monsterfilms. Ein größenwahnsinniges Unterfangen – dank modernster Computertechnik.
Tier-Horrorfilme liefern natürlich immer auch einen zeitbezogenen Subtext und einige klassische Phänomenologien mit. „Die Vögel“ und „Der Weiße Hai“, sozusagen die Proto-Tierschocker, bilden die komplementären Grundmuster des Sujets. Hier viele, viele Kleine, dort ein richtig fieser Großer. Und einserseits das Fremde, das in den zivilisierten Lebensraum eindringt (Schema Invasionsfilm), andererseits der Mensch, der sich auf nicht zivilisiertes, unkontrollierbares Feindgebiet begibt (Schema Abenteuerfilm).
Eine kleine Entwicklung zeichnet sich allerdings ab: Waren die Tier-Horrorfilme der 70er und 80er vor allem verkappte Öko-Thriller („Aligator“, „Frogs“, „Piranha“ etc.), in denen sich die Natur für die Zerstörung durch den Menschen rächt, könnten die jüngeren Durchbrüche zu einer neuen Form der Biotech-Paranoia im Horrorfilm führen. Mit dem cinetamografisch sehr schönen „Mimic“ (Schaben) und „Deep Blue Sea“ (Hai) wurden bereits erste zaghafte Versuche unternommen. Letztlich aber werden auch diese Variationen immer nur wieder auf dieselben bekannten Muster zurückführen: das Vieh ist aggressiv, wächst und frisst.
Fantasy Filmfest, noch bis 23. August in den Kinos Royal Palast und Filmtheater am Friedrichshain
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