Auf weißen Müll gebaut

Das japanische Ensemble „Maiden’s Prayer“ zu Gast auf dem Internationalen Tanzfest

Jungfrauen beten, Girlies tricksen. Wenn sich fünf Tänzerinnen aus Yokohama „Maiden’s Prayer“ nennen, dann gewiss nicht, um in den Schoß von Religion und Tradition zurückzukehren. Rührschüsseln fliegen durch die Luft, Tomaten werden gemetzelt: Pritsch, in der Hand zerdrückt, pratsch, unter den Füßen zerstampft. Eindeutig ist, was auf diese Weise zurückgewiesen wird: die Frau als dienstbarer Geist in Küche und Bett. Was gewonnen wird und wie hoch die eigenen Verluste aber sind, lässt sich schwerer beschreiben.

Darum aber dreht sich „Maiden’s Prayer“, choreografiert von Un Yamada. Erstmals nach Europa eingeladen, halten sich die Japanerinnen auch auf der Premierenfeier in den Sophiensälen wie eine Schar Küken aneinander. „Sie haben kaum zu sagen gewagt, was ihnen an Technik fehlte“, beschreibt Ulrike Becker von der TanzWerkstatt die spezielle Mischung aus Höflichkeit und Schüchternheit. Bisher ohne institutionelle Unterstützung arbeitend, kann noch keine der japanischen Künstlerinnen vom Tanz leben, und eingestellt auf kleine Auftrittsorte haben sie eine spezielle Ökonomie entwickelt: Requisiten, Bühnenbild und Kostüm bestehen aus ein paar Gramm Plastiktüten.

Es ist ein prächtiger Müll, den sie auf dem schwarzen Boden ausbreiten. Sie wickeln sich hinein, wie in königliche Schleppgewänder. Sie kriechen draus hervor wie Neugeborene. Sie schleppen den Berg mit sich und gleichen ehrwürdigen Schildkröten ebenso wie den Obdachlosen, die auf der Müllkippe hausen.

All das liegt an den Rändern einer Kultur, aus deren finsterster Kammer zugleich ein Text vorgelesen wird. Es ist der öffentliche Brief eines Mörders, der auf die Todesstrafe wartet: Seine Einsicht in seine Schuld ist zugleich ein Akt der Unterwerfung bis zur Selbstaufgabe. Er beschreibt dies als Weg vom Tier zum Menschsein. Text und Tanz reiben sich in ihren Vorstellungen von Befreiung und erzeugen Unsicherheit: Bedeutet das Verlassen des sicheren Rahmens der Konvention einen Rückfall in Infantilität und Unvernunft?

Solchen Phantasien ist man hierzulande am ehesten in den Ausstellungen japanischer Fotografen begegnet. Die schillernde Armut des Bühnenbildes erinnert an Manaby Yamanaka, der Stadtstreicher mit der Würde asketischer Wandermönche portraitierte. Die Berauschung an platzenden Tomaten passt zu den seltsam drapierten Mädchenkörpern des japanischen Fotografen Araki, der gerade ein paar Häuser weiter in der Sophienstraße ausstellt – eine der Tänzerinnen hat für ihn als Modell gearbeitet.

KATRIN BETTINA MÜLLER