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„Tschibo! Tschibo!“

Im Fußballstadion ist Amidou Traore im Angriff – aber da gibt es auch Regeln. Draußen gibt es für ihn nur eine Position – die Defensive

aus Aschersleben THOMAS GERLACH

Am Anfang war ein Brief: „Als Asylbewerber möchte ich so schnell wie möglich mit meiner neuen Heimat und den hier lebenden Menschen Bekanntschaft schließen. (...) Ich bitte sie daher (...), mir in sportlich fairer Art unkompliziert die Freigabe für den 1. FC Aschersleben zu geben.“

So kam Amidou Traore nach Aschersleben. Vor fünf Jahren ist er nach Studentenunruhen von der Elfenbeinküste geflohen. Seine Reise führte ihn in das Asylbewerberheim Halberstadt. Fußball spielte er schon an der Universität in Abidjan, Fußball spielte er auch in dem Asylbewerberheim, dann in einem lokalen Club. Der deutsche Fußball braucht schließlich Nachwuchs. Das dachten sich auch die Kicker aus Aschersleben, versprachen Amidou eine Wohnung, und holten ihn zum 1. FC der Kreisstadt im Ostharz. „Mit Freude und Zuversicht nahm die 1. Männermannschaft des 1. FC Amidou im Kollektiv auf. Als Ausländer freut er sich darüber besonders. Amidou ist ein ausgesprochener Techniker, der mit dem Ball umgehen kann. In der unmittelbaren Torgefährlichkeit muss Amidou noch zulegen.“ Heute ist Amidou verheiratet, hat einen Sohn, studiert und arbeitet 19 Stunden in der Woche bei der Caritas in einer Beratungsstelle für Asylbewerber.

Wen interessiert die Elfenbeinküste?

In der Hand zusammengerollt trägt Amidou das Jeune afrique nach Hause, ein französischsprachiges Journal über Wirtschaft und Politik in Afrika, der Zeitungskiosk am Bahnhof hält es für ihn parat. Gut 200 Meter misst der Pflasterweg durch die Herrenbreite. Schnurgerade führt er vom Bahnhof durch den Park ins Stadtzentrum. Amidou geht ihn täglich, vorbei an Ahorn, Erlen, Eschen, morgens zur Bahn, abends nach Hause. Jetzt hat er Urlaub, heute hat er sich nur das Journal geholt, die Zeitschrift in der fremden Sprache und mit den fremden Problemen. Elfenbeinküste? Wen interessiert hier schon, dass das Land zu den größten Kaffeeproduzenten gehört?

Amidou, ein Politologe aus einem fernen Land, der in der Verbandsliga Fußball spielt, der beim Stadtfest kocht und der bei einem Kulturverein arbeitet. Und der schwarz ist. Schwarz und anders – und nicht weiß und gleich. Mancher Blick sagt es ihm. Dazu schweigt Amidou. Andere Blicke sind offen. „Hallo Amidou!“ – „Hallo! Wie geht’s?“ Amidou ist bekannt in Aschersleben, bekannt als Kicker. Den Weg durch die Herrenbreite gehe er ohne Sorge, sagt Amidou. Und abends ist er sowieso zu Hause. Nachts geht er nicht aus. Spätestens um neun kommt er vom Training. Besuche bei Freunden, das schon. Aber sonst? Disco? Club? „Nein, nein!“ Amidou lacht, hebt die Hand, wehrt ab. „Das nicht! Zu gefährlich.“ Ehestand als Risikominimierung, Leben in der Defensive.

„Ich hasse Schwarze!“, rief ihm einer zu. „Und ich liebe Menschen, die Schwarze hassen!“, antwortete Amidou. Das war sein Höchstmaß an Offensive, getarnt mit Ironie. „Die testen doch, ob du Deutsch verstehst.“ Amidou greift auf dem Rasen an, da gibt es Regeln, Schiedsrichter und Fans. Und das Spiel dauert 90 Minuten. Jenseits des Platzes beginnt ein anderer Kampf und der währt länger. „Wenn ich das so mache wie andere, mit Aktion und Reaktion und so, dann brennt hier die Luft! Die Frage ist nur, ob ich dann schnell genug bin?“ Beim ersten Mal? Vielleicht. Und beim zweiten Mal? Beim dritten? Vierten? „Ich habe hier keine Familie, ich habe hier eine Frau, die ich liebe, aber sie ist weiß! Sie kann mir nicht helfen, wenn ich angegriffen werde!“ Amidou ist schwarz, das ändert keine Aufenthaltsgenehmigung, das ändert auch kein deutscher Pass – und eine Mannschaftszugehörigkeit auch nicht.

Amidous Sohn ist farbig. „Wenn ich morgen tot bin, sollen meine Freunde in zwanzig Jahren sagen: Adrian, du bist der Sohn von Amidou? Wir helfen dir, dein Vater hat uns auch geholfen!“ Das ist Amidous Vermächtnis. Ackern für den Sohn? Das ist auch deutschen Vätern nicht fremd. Nur vererben die eher Bares. Aber, wer denkt schon mit 33 daran?

Amidou, wir beschützen dich!

„Hey, Amidou, wir beschützen dich!“, beschwören die Fußballer wieder und wieder, und sie meinen es ernst. Doch ihr Libero ist zu nüchtern für Schwüre: „Ja, aber dann ist es schon zu spät!“ Und die Achtung auf dem Platz hat sich Amidou mit jedem Spiel und jedem Schuss und jedem Tor erkeucht. Davon erfuhren dann auch die Bild-Leser: „Asches“ schwarze Perle zaubert und gewinnt fast jeden Zweikampf.

„Die ersten beiden Spielzeiten waren schwierig. Du hörst alles. Alles!“ Was? „Nein, ich werde das nicht wiederholen“, sagt Amidou. Er ist Diplomat in eigener Sache. Ein Diplomat ohne Hinterland. Die Stadt, in der er ist, mag zu ihm freundlich sein, trauen darf er ihr nicht.

Amidou hat sich zum Ersatzkapitän hoch geschuftet. Als der Spielführer ausfiel, war Amidou Kapitän, zwei Halbzeiten lang. Da kam der Schiedsrichter auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand. „Er hat zu mir gesagt: Solange ich pfeife, sind Sie der erste schwarze Kapitän, Herr Traore!“

Wuchtig steht ein Schreibtisch im Wohnzimmer, zwei Schränke an den Seiten, edle Stücke. „Das sind Möbel von Andrea, meiner Frau, das ist ihr Geschmack.“ Amidous Schätze heißen Anerkennung und Selbstachtung, mühselig sammelt er sie ein: sonnabends auf dem Rasen, vor dem Rathaus beim Stadtfest, wenn der Bürgermeister seine Speisen probiert, in der Uni. Es ist eine spärliche Ernte, für solche wie ihn gibt der Boden hier nicht viel her. Sie muss reichen, für Amidou und für seinen Sohn. Und sie muss reichen gegen Witze über Schwarze, das Wort Neger und die Blicke. „Das ist manchmal immer noch beleidigend.“ Auch noch in der Mannschaft. Amidou ist kein Spielverderber. Ja, ja, ein bisschen Spaß muss sein, sagt er dann und ringt sich ein Lächeln ab.

Eines Nachts gegen zwei rief die Polizei aus Halle an, seine Frau lag hochschwanger. „Was ist los? Woher haben die meine Nummer, meinen Namen?“ Amidou weiß das bis heute nicht. Es war nichts weiter. Sie wollten, dass er übersetzt. Nachts um zwei. Kleinkram. Amidou ist nicht kleinlich – und wundert sich nicht mehr, dass es die Deutschen sind.

Gelegentlich besuchen ihn Zeugen Jehovas. Amidou ist Muslim, in Aschersleben so gut er kann, und er kann nicht gut. Wenig Muslime, keine Moschee, dass würde diese Stadt wohl auch schwerlich aushalten. Und die wenigen sind Araber. Neulich kam ein Iraker zur Caritas. „Der hat mich zuerst behandelt wie Luft.“ Nein, keine Schicksalsgemeinschaft, jedenfalls nicht automatisch. Also unterhält er sich mit Zeugen Jehovas. „Was, du lässt Zeugen in deine Wohnung?“ – „Was haben sie euch getan? Wir trinken Tee, unterhalten uns über Gott. Sie sind höflich! Was haben die denn verbrochen?“ Amidou weiß längst, dass es nicht immer Gründe geben muss. Auch die Zeugen mit ihrer Botschaft sind Fremdlinge, das verbindet.

„Kennst du die Toilettenpapier-Theorie? Du wirst hier benutzt, solange sie dich brauchen. Und danach . . .“ Amidou macht eine eindeutige Handbewegung. Das Leben ist ein Stück Papier. Manchmal bleibt es weiß, meistens wird es dreckig und manchmal angezündet.

Andrea ist gekommen, sie hält Adrian auf dem Arm. Er hat Halsweh. „Ich fühle mich hier sicher“, sagt Amidou. „Momentan“, fügt er hinzu. Man muss sich an die Regeln halten, wie beim Fußball. Aschersleben ist klein, der Freundeskreis groß, Amidou ist bekannt. „Die Rechten kommen aus den Dörfern ringsum“, sagt Andrea. Auf der Fahrt zum Caritasbüro nach Halberstadt gab es noch keine Probleme, nach Halle zur Universität auch nicht. Amidou trägt Zeitungen und Bücher bei sich. „Ich lese immer. Dann passiert nichts.“

Amidous Freund George mag darauf nicht vertrauen. Er arbeitet jetzt in Hamburg, kommt nur alle zwei Wochen zu seiner Frau nach Aschersleben. Ich könnte vielleicht in Magdeburg Arbeit finden, hatte George gesagt. Aber jeden Tag mit der Bahn? Hamburg ist sicherer.

Der Trainer umarmt ihn – zu heftig

Sonnabend 15 Uhr, Anpfiff. In Sachsen-Anhalt kocht die Bundesliga auf unterem Niveau: Die Aschersleber spielen heute gegen den 1. FC Magdeburg II. Gut hundert Fans suchen Schatten unter dem Wellblech des Stadiondachs, ein Dutzend sind aus Aschersleben. Eine Autorität nennt der Trainer Amidou, umarmt ihn heftig. Zu heftig. Was Amidou betreffe, habe es am Anfang ein, zwei unschöne Dinge gegeben, „Verbales“, sagt der Coach. Das Spiel beginnt, es wird ein ödes für Aschersleben. Da kann Amidou noch so laufen. 4:0 in der ersten Halbzeit, 6:1 zum Schluss. Von der Hitze gebremst gießen die Magdeburger Häme auf die Aschersleber Fans. Ein bisschen Krach auf den Bänken, ein paar Sprüche – und dann doch noch von irgendwoher ein „Tschibo! Tschibo!“ Einer weiß offenbar, wo der Kaffee herkommt.

Amidou hat nichts gehört. Verstanden hat er schon längst.

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