: Tod im Blockbau
■ An der Stockmeyerstrasse wird aus lakonischen Beschäftigungen mit der menschlichen Vergänglichkeit gelesen Von Britta Peters
Leute, wollt ihr ewig leben? Sieht fast so aus. Höhepunkt der allgemeinen Tendenz, den Tod nicht mehr als Bestandteil des Lebens zu akzeptieren, ist die Transhumanismus-Bewegung in den USA. In der wachsenden Gemeinde aus Überlebens-Fanatikern, die mittels Kältekonservierung und Gentechnologie der menschlichen Sterblichkeit ein Ende zu bereiten gedenkt, wird unter anderem mit dem Slogan „Abschaffung der Todesstrafe“ um zahlungskräftige Mitglieder geworben. Die können sich dann, statt einfach zu sterben, vorübergehend suspendieren lassen, wie es im Fachjargon heißt.
Aber soweit muss man gar nicht gehen. Auch im Alltäglichen schwankt der Umgang mit Tod und toten Körpern zwischen Tabu und Sensation. Diese Mischung aus hysterischer Massentrauer und automatischer Betroffenheit nimmt dem Sterben die Selbstverständlichkeit, meint Móka Farkas. Für die Lesung „Vom schnellen und gewaltsamen Tod“ hat sie deshalb eine Reihe von Kurzgeschichten osteuropäischer Autoren zusammengestellt, die ein tabuloser, oft auch skurriler Blick auf das Thema verbindet.
In einem Text von Attila Hazai zum Beispiel beobachtet ein Wissenschaftler geradezu euphorisch, wie sich sein Bewusstsein durch ein langsam ins Hirn herauf wanderndes „kleines, spitzes Blutgerinnsel“ rauschhaft vernebelt. In „Piraten“ erzählt der gleiche Autor von zwei Kindern, die ihrem totgeglaubten Großvater die Bauchdecke aufschneiden, nur um mal zu sehen, wie es da drinnen aussieht. „Hazais Texte handeln von unausweichlicher, struktureller Gewalt. Er mutet seinen Lesern viel zu, was die eigene Urteilsbildung angeht“ beschreibt Farkas ihre Sympathie für den 33-jährigen Ungarn, dessen ersten Roman Budapester Schizo (Tibor Schäfer Verlag) sie auch ins Deutsche übersetzt hat.
Mit der nüchternen Aufzählung „Einst aß Orlow Erbsenbrei und starb. Und als Krylow davon erfuhr, starb er auch. Spiridonovs Frau fiel von der Kommode und starb ebenfalls.“ beginnt die kurze Geschichte „Fälle“ des russische Schriftstellers Daniil Charms (1905 – 1942). Nach einer Aneinanderreihung weiterer tragischer Ereignisse endet sie mit der lakonischen Feststellung: „Lauter gute Menschen, und können keinen kühlen Kopf bewahren.“ Ein anderes Mal erzählt Charms, fast im Stil eines Märchens, wie ein alter Mann in geometrische Formen zerfällt, wie ein Liebhaber vollbusiger Weiber sich plötzlich in tausend Kügelchen auflöst oder wie der Regimentskommandeur Sepunov vor den Augen der Menge im Fluss ertrinkt.
Gelesen werden sämtliche Texte des Abends von Matthias Breitenbach und Bjarne Ingmar Mädel, beide zur Zeit am Hamburger Schauspielhaus unter Vertrag. Eine literarische Performance: Die Schauspieler agieren auf leeren Fischkisten, stellenweise wird symphonisch vorgetragen und Sprecherwechsel finden eher unvermittelt statt. Reale Brechungen des Imaginären also, die sich in der geschichtsträchtigen Ansammlung von irgendwann im Blockbau verbliebenen Gegenständen weiter fortsetzen. In Vitrinen hängen dort die Buchstaben A und E an der Wand, kein Mensch weiß, wie sie dahin gekommen sind. Ein rotkariertes Hemd zeugt von der letzten Aktion der NoRoomGallery und weht ansonsten draußen am Fahnenmast. Im Tresenbereich häufen sich Hinweise auf die lokale Big-Band Kaszanka. Kann auch passieren, dass einem plötzlich ein Spielzeugball vor die Füße rollt.
Der Blockbau ist tatsächlich eine kleine Blockhütte, ein ausrangiertes Logistikgebäude der Deutschen Bahn AG hinter den Deichtorhallen am Eingang zum Freihafen gelegen. Seit dem 1. Mai beherbergt das Haus nun das „blockbau projekt“, eine von Berndt Jasper begründete Initiative aus freischaffenden Künstlern zur Auslotung non-musealer und peripherer Standorte. „Parasit in Restnatur“ lautet der Untertitel des Projekts, und damit wird auch klar, warum das Ding zwar wie eine Blockhütte aussieht, aber nicht einfach Blockhütte heißen kann.
Was die Lage betrifft, ist der Blockbau die Verlängerung der Kunstmeile in Richtung Süden. Inhaltlich gesehen, eine Erweiterung: ein Institutionsunabhängiges Forum für Stadtentwicklung, Freiluftveranstaltung, Ausstellung und Webaktivitäten mit Patenschaften in Berlin, Bremen, Kopenhagen, Zürich und Budapest. Viele der beteiligten Hamburger Künstler, wie Akkurat/Parat (Berndt Jasper), F-18 (Institut für Kunst, Information und Technologie) und The Blubbox Labortory (Cecil Noldus) haben ihre Ateliers nur ein paar Meter weiter im Komplex Stockmeyerstraße 45. Es entspricht der Logik moderner Stadtentwicklungen, dass die Hafencity dem künstlerischen Freiraum in Hamburgs Mitte irgendwann den Garaus machen wird. Aber bis dahin ... geht die Post ab!
„Vom schnellen und gewaltsamen Tod“, Samstag 26. August, 22 Uhr, Blockbau, Stockmeyerstr. 1
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