Berliner Bündnis für rechts

Ex-Innensenator Jörg Schönbohm schwört auf die „deutsche Leitkultur“, der Polizeipräsident kämpft gegen ein „lichtscheues Gesindel“. Politiker als geistige Brandstifter gibt es auch in der Hauptstadt

von UWE RADA

„Er verliert sich in der abgelegten Tradition eines unseligen, leeren Nationalismus der Angst und der Abwehr, den der Politikwissenschaftler und CDUler Dieter Oberndörfer als ‚völkischen Nationalismus‘ qualifiziert.“ Der, über den Politikwissenschaftler Hajo Funke dieses vernichtende Urteil spricht, heißt Jörg Schönbohm, war Berliner Innensenator und hatte am 25. April 1997 in der Berliner Morgenpost einen Beitrag mit dem vielsagenden Titel „Integration ist keine Einbahnstraße“ veröffentlicht.

Vor dem Hintergrund eines prognostizierten Anstiegs des Ausländeranteils in der Stadt auf 17,4 Prozent im Jahr 2010 stellte Schönbohm fest, dass die „Identität der Bundesrepublik als Nationalstaat“ nicht zur Disposition stehen dürfe. Seine Begründung: „Integration wird umso schwieriger, je höher der Anteil der Ausländer ist. So können bei schnell steigenden Ausländerzahlen Bedrohungs- und Überfremdungsängste wachsen.“

War Schönbohms Äußerung nur ein Ausrutscher oder tätsächlich ein Beispiel eines „unseligen Nationalismus“, wie es Hajo Funke meinte?

Stammtischäußerungen von Politikern, auch in Berlin, sind und waren nichts Neues. Vor allem nicht in der Berliner CDU. Insbesondere die Innensenatoren haben sich in der Vergangenheit immer wieder als rechte Stichwortgeber hervorgetan. Ex-Innensenator Heinrich Lummer sagte in der taz vom 6. 11. 1998: „Heimat kann man auch verlieren durch Masseneinwanderung. (. . .) Was in Deutschland geschieht, ist Masseneinwanderung.“

Dass Lummer nicht nur ausländerfeindliche Sprüche klopfte, sondern auch eifriger Spender der NPD war, hat seine Partei nicht daran gehindert, ihn in den Bundestag zu schicken. Und auch Ex-Innensenator Dieter Heckelmann, dessen Sprecher Hans-Christoph Bonfert sich regelmäßig in neonazistischen Kreisen bewegte, musste nicht wegen Bonfert abtreten, sondern wegen fortgesetzter Unfähigkeit.

Dennoch hatte die Schönbohm-Äußerung eine neue Qualität: Mit dem ehemaligen Bundeswehrgeneral äußerte sich in Berlin erstmals kein Politiker, der a priori zum rechten Rand der CDU gehörte, sondern einer, der sich anschickte, zum ernsthaften Gegenspieler des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen zu avancieren.

Prompt formierte sich um Schönbohm die „Union 2000“, zu der Politiker wie der heutige CDU-Generalsekretär Ingo Schmitt oder sein Vorgänger Volker Liepelt („Es gibt Gegenden, wo viele Deutsche sich nicht mehr zu Hause fühlen“) zählen. Die „Überfremdungsängste“, von denen Schönbohm sprach, gehörten in der Berliner CDU fortan nicht mehr zum Tabuthema, sondern zum gängigen innerparteilichen Sprachgebrauch.

Beispiel dafür ist der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Roland Gewalt. Gewalt sagte am 29. Dezember 1998: „Zum wiederholten Male haben sich hier bei einer Festnahme eines Straftäters türkischer Herkunft Landsleute zusammengerottet, um diesen zu befreien. Zur Abschreckung anderer muss daher die Ausländerbehörde (. . .) von den neuen gesetzlichen Maßnahmen Gebrauch machen und die Ausweisung verfügen.“

Galt die „Das Boot ist voll“-Rhetorik deutscher Bundespolitiker, die zu Beginn der Neunzigerjahre in den rassistischen Pogromen von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen mündete, im Wesentlichen den „Aylbewerbern“, steht seitdem die Einwanderungsgesellschaft im Vordergrund. Stellvertretend für viele äußerte sich auch hier Ex-Innensenator Jörg Schönbohm: „Es gibt heute schon Quartiere, die so sind, dass man sagen kann: Dort befindet man sich nicht in Deutschland. (. . .) Deutschland ist kein Einwanderungsland und sollte es auch nicht werden“, sagte Schönbohm am 2. Juni 1998 der B.Z.

Schönbohms Äußerungen wurden von der rechtsextremen NPD dankbar aufgenommen. So schrieb die NPD-Zeitung Deutsche Stimme in ihrer Ausgabe 9-10/98: „Deutsche Städte verlieren ihr deutsches Gesicht.“ Auch Schönbohms Zitat „Wollen wir Little Turkey in Berlin so wie Little Italy in New York, oder wollen wir ein Integrationsmodell?“ (Die Welt vom 13. 6. 1998) wurde von der NPD zwei Monate später aufgegriffen. In einem vom Spiegel zitierten Flugblatt heißt es: „Berlin statt Bürlyn! Istanbul den Türken. Aber: Berlin uns Deutschen.“

Für den Innensenator gab es zu dieser Zeit bereits keine Hemmschwelle mehr. Er gab der rechtsextremen Jungen Freiheit Interviews, forderte eine „deutsche Leitkultur“ in einer „selbstbewussten Hauptstadt“, dem Sitz einer „selbstbewussten Nation“. Höhepunkt seiner Karriere als politischer Brandstifter war jedoch eine Rede, die er bei der Präsentation des Buches „Für eine Berliner Republik“. Autoren waren die bekannten rechtsradikalen Vordenker Heimo Schwilk und Ulrich Schacht.

Nachdem Jörg Schönbohm als CDU-Vorsitzender nach Brandenburg wechselte und der ehemalige Verfassungschützer Eckart Werthebach das Amt des Berliner Innensenators antrat, wurde es etwas ruhiger um die rechten Tabubrüche aus der Mitte der Berliner Politik.

Nur Polizeipräsident Hagen Saberschinsky schert regelmäßig nach rechts aus, etwa wenn er Polizeibeamten nicht verdenken kann, in Stresssituationen Ausländer mit dem Wort „Kanake“ zu beschimpfen.

Erst am vergangenen Montag sagte Saberschinsky in der B.Z.: „Berlins Entwicklung zur Weltmetropole hat auch ihre Kehrseite. Die Stadt als Bindeglied zwischen West- und Osteuropa zieht das lichtscheue Gesindel an wie das Licht die Motten.“

Trotzdem sich mit dem Abgang von Innensenator Schönbohm und dem Einzug liberaler Politiker wie Wolfgang Branoner und Peter Kurth (beide CDU) in den Senat der rechte Aktionismus der CDU auf Unterschriftensammlungen gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oder Kampagnen wie der Kreuzberger Jungen Union („Deutschland muss in Kreuzberg wieder erkennbar sein“) beschränkte, kann von einer Entwarnung kaum gesprochen werden. Im Gegenteil: Mehr und mehr avancieren neben Ausländern auch Jugendliche zu den Sündenbocken der rechten Stichwortgeber.

Namentlich auf die Graffiti-Sprayer reagieren die Law-and-Order-Politiker mit der gleichen rhetorischen Waffenkammer, mit der sie auch gegen Migranten zu Felde ziehen. Nach einem Urteil des Kammergerichts, das Sprühereien straffrei handhabt, solange keine Sachbeschädigungen entstehen, warf der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen den Richtern vor, dass dieses Urteil „sozialschädigendes Verhalten billigt“.

Vor allem aber die innerstädtischen Wohngebiete sind nunmehr im Visier der rechten Parolenklopfer. Aus der Ethnisierung der Armut, wie sie noch in der Mitte der 90er-Jahre als rassistisch Strategie zu beobachten war, ist eine weiter gehende Stigmatisierung ganzer Stadtquartiere geworden, deren Bewohner entweder ganz abgeschrieben oder mit der Politik der „Null Toleranz“ bedacht werden.

Stellvertretend für viele seien hier der CDU-Fraktionsschef Klaus Landowsky und SPD-Senatsbaudirektor Hans Stimmann genannt.

In einem Interview über „verwahrloste Quartiere“, das beide dem Tagesspiegel im März 1998 gegeben haben, sagte zuerst Landowsky: „Man muß Mut haben, Gebäude wie das Neue Kreuzberger Zentrum oder den Sozialpalast zu sprengen“. Die Orte, so der CDUler weiter, seien „Kriminalitätszentren, die kriegt man sonst nicht in den Griff“. Stimmann sekundierte: „Sie haben recht. Das ist ein Tabuthema, aber vielleicht sollte man das NKZ in der Tat abreißen, das versaut die Stadt. Das ist ein sozialer Brennpunkt.“

Das neue Terrain der „sozialen Brennpunkte“ gehört nicht mehr länger nur der CDU, sondern auch ehemals linken Sozialdemokraten, die nun mehr und mehr mit der von Hajo Funke zitierten „Angst und der Abwehr“ reagieren. Der entscheidende Unterschied ist allerdings, dass die SPD keinen Nationalismus als Lösung anbietet, sondern die Wiederentdeckung der „sozialen Differenz“. Soziale Ausgrenzung statt Rassismus: In der einseitigen Orientierung auf die „Neue Mitte“ wird den Stigmatisierten der „alten Ränder“ signalisiert, dass es auch ohne sie geht.