: Die Kriegsopfer
Noch bevor er nach Kolumbien getragen wird, fordert der amerikanische Drogenkrieg immer mehr Opfer in den USA selbst
WASHINGTON taz ■ An einem Sommernachmittag erhielt Tamika Gates den Anruf ihrer Mutter. Er kam aus dem Gefängnis. Wegen Drogenbesitzes war sie festgenommen worden. Minuten später zersplitterte die Haustür unter den Axthieben der Drogenfahndung. Zusammen mit ihren sechs Geschwistern musste die damals 17-Jährige hilflos zuschauen, wie ihr Haus in Brooklyn Park, Minnesota, einer kleinen Vorortsiedlung nahe Minneapolis, durchsucht wurde. Das war 1996. Bei ihrer Mutter waren 100 Gramm Kokain gefunden worden. Tamikas Mutter, damals 32, hatte Geldschwierigkeiten gehabt. Eines Tages lernte sie einen Mann kennen, der sie umwarb und Hilfe versprach. Er lud sie nach Chicago ein, und für die Mitnahme eines Päckchens auf dem Rückweg bekam sie Geld.
Nach Tamikas Auskunft hat ihre Mutter nie Drogen genommen – Drogenkonsum ist auch nicht, was die Staatsanwaltschaft ihr vorwarf, sondern „Verschwörung zur Vertreibung von Drogen“. Einen Monat kam sie auf freien Fuß, um sich um die Unterbringung ihrer Kinder zu kümmern. „Wie ungeliebte Haustiere wurden meine Geschwister weggeschickt,“ sagt Tamika. Zu mindestens fünf Jahren Haft wurde ihre Mutter 1997 verurteilt. Sie sitzt in einem Gefängnis in Illinois. 12 Stunden dauert die Fahrt dahin, einmal die Woche fährt Tamika sie besuchen. Heute 21-jährig hat sie das Sorgerecht für fünf Kinder. Zwei ihrer Brüder sind selbst im Gefängnis – die Verurteilung der Mutter hat sie traumatisiert, sagt sie –, dafür hat Tamika jetzt selbst zwei Kinder. Ihre Schwester ist wegen schwerer Depressionen in stationärer Behandlung.
Tamikas Geschichte ist nur eine von tausenden, die dem „War on Drugs,“ Amerikas Krieg gegen die Drogen, ein menschliches Gesicht geben. Die Zahl der Kriegsopfer geht in die Millionen. „In den letzten 20 Jahren haben wir eine viertel Billion Dollar für den Krieg gegen Drogen ausgegeben“, sagt Tom Campbell, republikanischer Abgeordneter aus Kalifornien, der Amerikas Drogenpolitik ändern möchte, „in dieser Zeit ist die Zahl der Inhaftierten um das 10-fache gewachsen, die der Drogentoten um das fünffache, der Preis der Drogen aber ist auf ein Viertel dessen gesunken, was sie vor 20 Jahren kosteten. Ein Sieg sieht so nicht aus, so sehen Niederlagen aus.“
In den USA sitzen mehr Menschen wegen Vergehen gegen Drogengesetze in Gefängnissen, als in ganz Westeuropa für alle Verbrechen zusammengenommen – und die EU hat 100 Millionen mehr Einwohner als die USA. Die USA hat heute eine Gefängnispopulation von 2 Millionen Menschen. 1,2 Millionen sitzen wegen so genannter non-violent crimes, also Verbrechen ohne Gewaltanwendung im Knast. 62 Prozent der in Bundesgefängnissen einsitzenden Verurteilten haben sich gegen das Betäubungsmittelgesetz vergangen, das ist eine Steigerungsrate von immerhin 1.000 Prozent gegenüber 1980. Etwa 2 Millionen Kinder haben durch den Drogenkrieg ihre Eltern verloren – viermal soviel wie 1980.
Die Opfer dieses Drogenkriegs sind sehr ungleichmäßig über die Bevölkerung verteilt. „Fünfmal soviel Weiße wie Schwarze benutzen Drogen,“ sagt Gram Boyd von der amerikanischen Bürgerrechtsvereinigung ACLU, „aber 13 mal mehr Schwarze landen wegen Drogenvergehens im Gefängnis. Afroamerikaner machen 12 Prozent der Bevölkerung und 13 Prozent der Drogenkonsumenten aus, aber 38 Prozent der wegen Drogenvergehens Festgenommenen, 59 Prozent der wegen Drogenbesitzes und 63 Prozent der wegen Drogenvertriebs Verurteilten. Der ,Krieg gegen die Drogen’ hat die Grenzen der Metapher gesprengt,“ so Boyd, „und ist zu einem wirklichen Krieg geworden. Kriege aber fordern Opfer – und zu den ersten Opfern gehören meist die Bürgerrechte. In Texas haben mehr als eine halbe Million schwarzer Bürger wegen ihrer Verurteilung das Wahlrecht verloren.“
Mit der Gewährung des 1,7 Mrd. Dollar Hilfspakets für Kolumbiens Drogenkrieg sind die USA im Begriff, den Drogenkrieg nach Lateinamerika zu tragen, wo er zu eskalieren droht. „Was wir fordern“, so Nathan Nadelman, Direktor des Lindesmith Centers, eines Instituts, das sich für eine neue Drogenpolitik einsetzt, „ist nicht Legalisierung, sondern Entkriminalisierung der Drogen.“ Erstmals melden sich jetzt auch Politiker des politischen Mainstreams mit einem Plädoyer für eine andere Drogenpolitik zu Wort. Außer Tom Campbell ist das der Gouverneur von New Mexico, Gary E. Johnson, wie Campbell Republikaner. PETER TAUTFEST
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