: Weißes Rauschen
Was die Choreographen nicht sehen und nicht zeigen können: Die Tanzbilder von Bernd Uhlig im Willy-Brandt-Haus
Ein weißes Glimmen. Mehr nicht. Längst nicht mehr wirklich flackert und pulst es im Schwarz. So hat Bernd Uhlig „Schwanensee“, den „sterbenden Schwan“ und „Les Sylphides“ fotografiert, aufgeführt in der Berliner Staatsoper Ende der Neunzigerjahre. Tänzerinnen, Bühnenbilder, Kostüme: All das ahnt man in seinen Bildern nur. Es scheint nicht drei Jahre her, was er fotografiert hat, sondern hundert und mehr, als sich mit langen Belichtungszeiten die ersten Bilder in Metallplatten gruben und die „weißen Ballette“ erfunden wurden. Geisterhafte Wesen, festgehalten an einer Schwelle zwischen Leben und Traum, die sich nur im Tanz artikulieren und nur in ihm sichtbar werden können, schwebten durch die zerbrechlichen Kunstwerke der „weißen Ballette“. Mit diesen sich verzehrenden Sehnsuchtsfiguren wurde es den Choreographen möglich, zunehmend auf Erzählung zu verzichten und den Tanz immer weiter auszudehnen.
Dieser Hunger nach Spiritualität in der Bewegung scheint in Uhligs Interpretationen fassbarer auf als in den Inszenierungen selbst. Er gibt der flüchtigen Kunst etwas von ihrer Historizität zurück, vom Geist ihres Ursprungs ebenso wie von der zeitlichen Distanz, die uns davon trennt. Seine Bilder wissen mehr, als man sieht.
Wenn ein Foto „sogar etwas sichtbar macht, was die Aufführung nicht zeigt, ist das eine Bereicherung, die mich zu etwas Neuem inspirieren kann“, sagt die Choreographin Sasha Waltz über die Zusammenarbeit mit Bernd Uhlig. Seit neunzehn Jahren beschäftigt er sich mit dem Tanz, „taucht ganz nebenbei mit Stativ und Fototasche auf, nie zur falschen Zeit, immer am richtigen Ort“ (Waltz), und ist deshalb bei Proben willkommen. Er war bei der Entwicklung des Stücks „Körper“ dabei. In „Tanzbild 501“ haben sich Schemen der Tänzer wie aus Wärme, Atem und Schweiß gebildet, in die Betonwand der Schaubühne eingegraben. Als ob die Mauern selbst sich erinnern könnten, was einmal in ihnen stattfand.
Nicht der Körper, nicht die Gegenwart der Aufführung sind Gegenstand von Uhligs Tanzbildern, sondern die Zeit. Sie ist das verbindende Medium zwischen Tanz und Fotografie. So versucht Uhlig nicht, die Bewegung festzuhalten, sondern ihrem Verschwinden nachzuspüren. Dennoch setzen sich seine Bilder, die auch der Pekingoper und dem Kabuki-Theater, den Choreographien von William Forsythe und Amanda Miller gelten, auch mit den Unterschieden der künstlerischen Konzepte auseinander. Sie antworten auch dem Wechsel der Geschwindigkeiten und der Beschleunigung, den Ideen von Ganzheit und Fragmentierung.
KATRIN BETTINA MÜLLER
Bis 17. 9, Di-So, 16-20.30 Uhr, Willy-Brandt-Haus, Stresemannstraße, Kreuzberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen